Wer kritisiert, den holt die Nationale Sicherheit

■ Im Sudan nutzt das islamistische Regime den US-Angriff auf eine Medikamentenfabrik als Vorwand für die Jagd auf Oppositionelle. Die werfen der Regierung vor, das Land international isoliert zu haben

Khartum (taz) – Es klingt wie ein Spottlied von Kindern, aber es ist alles andere als das. „Alaa al- imam, alaa al imam“, singen die Männer, die da im weißen Umhang und mit dem weißen Wickelturban der Sudanesen um die Ecke biegen, „unser Imam lebe hoch.“ Hinter ihnen holpert das Auto des Imam über die rote Sandstraße.

Der grüßt lachend aus dem Fenster. Eine Freitagspredigt ist zu Ende, und dieses Mal hat der Nationale Sicherheitsdienst nicht zugeschlagen. Zwei der vier Imame der Wad-Nubawi-Moschee in Omdurman hat die „Nationale Sicherheit“ in den vergangenen Wochen gleich nach dem Gebet am Freitag mittag festgenommen. Die Imame hatten öffentlich über Dinge gesprochen, die Khartums Regime aus Islamisten und Militärs nicht hören will. Über Korruption und Clanwirtschaft in der Regierung, über die Verdrehung islamischer Grundsätze, über Kontakte zur internationalen Terrorszene.

Natürlich ging es auch an diesem Freitag in der Predigt des Imam um Ussama Bin Laden, den angeblichen Drahtzieher der Bombenanschläge auf die US-Botschaften in Nairobi und Daressalam, ebenso wie um die sieben Raketen der Amerikaner, die eine angebliche Chemiewaffenfabrik im Norden der sudanesischen Hauptstadt in Schutt und Asche gelegt haben. „Niemand hat das Recht, uns anzugreifen, auch nicht Amerika!“ rief der Imam. Aber die Verantwortung für den Raketenangriff der USA trage die sudanesische Regierung. Die Raketen seien Folge ihrer falschen Politik. Die Regierung habe Sudan ins Abseits getrieben. Nicht nur der saudi-arabische Millionär Bin Laden trieb sich im Land herum, auch Carlos tanzte in den Diskotheken privater Klubs, Abu Nidal verschob Waffen.

Eine halbe Stunde hallte die Stimme des Imam über die niedrigen Häuser von Omdurman. Auf der anderen Seite des Nils liegt Khartum, die Dreimillionen- hauptstadt, wo seit nun neun Jahren das Regime von General Umar al-Baschir, des Staatspräsidenten, und des islamistischen Vordenkers Hassan at-Turabi herrscht. Omdurman aber ist die Stadt der historischen Unabhängigkeitskämpfer, der Jünger des Mahdi, der im 19. Jahrhundert für einige Jahre Briten und Ägypter aus Sudan vertrieben hatte. Heute sitzt hier die Opposition, und die Moschee im Stadtteil Wad Nubawi ist ihr Sammelpunkt geworden. An die tausend Männer drängen sich jeden Freitag auf dem Boden der Moschee und auf dem Vorplatz. Die Moschee gehört der Ansar-Sekte, und die wiederum stützt die Umma-Partei, die Partei des 1989 gestürzten Präsidenten Sadik al- Mahdi, die verboten ist wie alle anderen Parteien im Sudan außer der einen, die regiert – die Nationale Islamische Front (NIF). So ist die Freitagspredigt zum politischen Forum der Opposition geworden.

Einen Steinwurf entfernt von der Moschee liegt das Haus von Sarah Samman*. Ihr Bruder Abdallah sitzt gerade im Gefängnis. Er soll für den jüngsten Bombenanschlag einer langen Serie mysteriöser Explosionen in Khartum verantwortlich sein. Ende Juni waren zwei Sprengsätze in der Nähe eines Umspannwerks explodiert.

Danach kam die „Nationale Sicherheit“ und holte Abdallah und einen Imam der Wad-Nubawi-Moschee ab. Üblicherweise weiß die Armee schon im voraus, wo die Sprengätze liegen, und es kommt allenfalls zu kleineren Schäden, was den Verdacht nahelegt, daß die Explosionen von der Regierung inszeniert sind. „Da sind wir uns sicher“, sagt Sarah Samman, die wie ihr Bruder dem Politbüro der verbotenen Umma-Partei angehört. Sarah Samman war selbst oft wochenlang in Haft – ohne Anklage und ohne Kontakt zur Außenwelt. Mitte dreißig mag die Professorin sein. Ihr Gesicht wird zur Maske, wenn sie nicht spricht. Mit dem Angriff auf die Medikamentenfabrik am 20. August haben die USA nur die Hardliner in der Regierung gestärkt, sagen übereinstimmend die Regimegegner. Die Presse, die noch vor kurzem über die Bereicherung der Gouverneure in den Bundesstaaten Khartum und Kondurfan berichten durfte, werde wieder schärfer zensiert. Immer mehr Oppositionelle verschwinden. Fünf Mitglieder der Ansar-Bewegung sind in der letzten Augustwoche festgenommen worden, ein Sohn des früheren Präsidenten al-Mahdi soll in der Nacht zum 2. September festgehalten und verprügelt worden sein. „Die Intransparenz macht alles möglich in diesem Staat“, stellt Abdul Rahman al-Ghali, ein anderer Verwandter des Ex-Präsidenten fest. „Die Leute auf der Straße wissen nicht mehr, was sie glauben sollen.“

Die sudanesische Opposition habe die US-Regierung zu dem Angriff angestiftet, behauptet die Regierung. Nach außen gibt sich Hassan at-Turabi, der ideologische Kopf des Regimes, modern und aufgeklärt. „Ich kenne den Westen“, sagt er, „seit den Kreuzzügen seid ihr dem Islam gegenüber feindlich eingestellt.“ Doch die Sudanesen in Khartum führen ein anderes Leben zwischen Einschüchterung, Preissteigerungen und den täglichen Stromabschaltungen. „Das Programm der Regierung war, alles zu zerstören, was wunderbar war im Sudan“, sagt Sarah Samman. „Alles ging hier ruhig seinen Weg, bis sie kamen und die Leute mit dem Stock in die Moscheen trieben.“ Markus Bernath

*Namen geändert