Arbeit unter dem Druck der Großen Koalition

■ Der Parteienforscher Joachim Raschke zu den Chancen von Rot-Grün. Die Grünen sollten sich auf wenige Bereiche konzentrieren und sich als Interessenvertreter der jungen Generation profilieren

taz: Glauben Sie an eine rot- grüne Koalition?

Joachim Raschke: Sicher. Aber nach 20 Jahren eine Sechsprozentpartei zu sein, bietet den Grünen Grund, bescheiden zu bleiben und sich nicht zuviel Verdienst am Sieg zuzurechnen.

Auf welche Projekte sollten sich die Grünen festlegen?

Sie müssen neue Instrumente der Arbeitsmarktpolitik entwickeln, denn daran werden sie mit der SPD gemessen werden. Zweitens: Umbau des Sozialstaats. Da würde die Rentenreform mit Einbringung von generationsspezifischen Interessen der Grünen zählen. Drittens: Einstieg in die ökologische Modernisierung: Ökosteuer, Energiewende. Das vierte Gebiet ist das Staatsbürgerschaftsrecht. Es ist nicht die Zeit für eine neue Außen- oder Innenpolitik entlang grüner Reizthemen wie der Abschaffung des Verfassungsschutzes.

Sie raten, sich auf ein kleines Themenspektrum zu kaprizieren?

Die Grünen müssen sich auf klare Prioritäten festlegen. Man darf nicht den Bauchladen grün-alternativer Forderungen öffnen. Im administrativen Alltag wird man auf einer öffentlich wenig sichtbaren Ebene genug Gelegenheit haben, dies und jenes noch unterzubringen. Aber es ist ein Unterschied, ob man sich öffentlich an seinen Leistungen als Regierungspartei über vier oder 15 Projekte messen lassen will.

Ist die Ökosteuer mit Gerhard Schröder machbar?

An diesem Punkt ist er nicht die SPD. Es wird mit Sicherheit einen Einstieg in die Ökosteuerreform geben, man muß zwischen sechs und zehn Pfennig Erhöhungen anfangen um weiterzukommen.

Die Grünen können sich nur als Opportunisten im besten Sinne profilieren?

Sie werden ständig unter dem Damoklesschwert der Großen Koalition arbeiten. Das wird ihren Handlungsspielraum beschränken und geht unvermeidbar auf Kosten des Profils. Man muß versuchen, aus der Regierungsmehrheit heraus in der Bevölkerung eine Akzeptanz für den ökologischen und sozialen Umbau zu entwickeln.

Wird sich die Partei nicht zerreiben, wenn sie versucht, es allen recht zu machen?

Es gab im Wahlkampf eine scharfe Polarisierung zwischen dem grünen und dem bürgerlichen Lager. Die Ablehnung einer rot- grünen Koalition im bürgerlichen Lager war sehr massiv. Das müssen die Grünen ernstnehmen. Die rot- grüne Koalition ist in ihrem Interessenprofil, das sie vertritt, begrenzt. Sie vertreten nicht die unternehmerischen Interessen. Auch deshalb ist es wichtig, die Reichweite der Regierung zu verbreitern. Dies ist der Grundansatz für ein Bündnis für Arbeit und einer Energiekonsensrunde. Auf eine schon vorhandene Polarisierung darf nicht mit einer Gegenpolarisierung gekontert werden.

Verfügen die Grünen überhaupt über regierungsfähige Strukturen?

Mit ihren Amateurstrukturen in der Partei können sie nicht auf Dauer regieren. Es muß ein grünes Präsidium geben, in dem Regierung, Fraktion und Länder auf allen Ebenen verknüpft und abgestimmt werden. Die Trennung von Amt und Mandat ist endgültig passé.

Welche Ressorts passen zum grünen Profil?

Umwelt und sozialpolitische Themen, die mit Frauen verbunden sind. Frauen und Familie und Teile des Ministeriums für Arbeit.

Sollen die Grünen keine Schlüsselressorts besetzen?

Finanzen und das Innenministerium werden die Genossen nicht aus der Hand geben wollen. Da bleibt nur das Außenministerium. Darin liegt das Risiko, aber auch die Chance, daß die grüne Außenpolitik, wie sie auf Parteitagen formuliert wird, definitiv Anschuß an die Realität findet.

Sie verbreiten nicht gerade eine Aufbruchstimmung für Rot-Grün.

Die Öffnung der Gesellschaft, ein altes Projekt der Grünen, wird aus der Regierung heraus möglich sein. Man kann sich nicht den Zeitpunkt aussuchen, an dem man staatliche Verantwortung übernimmt. Es war nicht die Stärke der Grünen oder der SPD, es war die Schwäche der CDU und Kohl, die die rot-grüne Koalition möglich macht. Wenn die Grünen die ersten zwei Jahre schaffen, werden sie auch die ganzen vier Jahre schaffen. Interview: Annette Rogalla