Sommerkollektionen für Zaungäste

Viele Videomonitore, aber kein Bild von den städtischen Veränderungen: Die „berlin biennale“ wollte den Weg zur Metropole als Kunst-Event gestalten. Dabei wurden die Widrigkeiten des urbanen Alltags gestrichen und einmal mehr durch etwas Clubkultur ersetzt  ■ Von Harald Fricke

„We love you Otto Freundlich“ steht auf dem Schild, „Merci“ auf einem anderen. Daneben liegen bestickte Fankissen aus Samt mit noch liebevolleren Freundlich-Anrufungen, ein Plüschteddybär und diverse Kerzenstummel. Die ganze Szenerie erinnert an einen Schrein am Wegesrand irgendwo im Süden Europas und ist doch auf der Tucholskystraße am Postfuhramt in Berlin-Mitte eingerichtet worden.

Zwanzig Meter entfernt haben sich zwei Handwerker von der Sewerin-Rohrleitungsbau-Firma in ein mannshohes Loch gekniet und schrauben an den Gasleitungen herum. Aus dem angrenzenden Hausflur kommt ihnen ein zerrupfter Kerl in Hauspantoffeln entgegen und blafft: „Ey, ick hab keen Gas!“, worauf einer der Handwerker „Det stimmt!“ zurückbrummelt und weiterschraubt. Wenig später ist ein Warnschild aufgestellt, das das Rauchen neben den offenen Gasleitungen verbietet, die Arbeiter sind weg, zur Mittagspause. Es ist Montag morgen um halb zwölf, vor einer halben Stunde hat gleich um die Ecke die erste berlin biennale begonnen, auf der Werke von 71 Künstlern präsentiert werden.

Die Gedenkstätte für Otto Freundlich stammt von dem Schweizer Künstler Thomas Hirschhorn und ist Teil der neugegründeten Biennale. Hirschhorn wollte mit seiner aus Pappen und Sperrholz gezimmerten Arbeit an den jüdischen Künstler erinnern, der 1943 im KZ Majdanek ums Leben kam. Bekannt wurde Freundlich mit expressiven, zugleich kantig abstrakten Skulpturen – ein maskenartiges Gesicht war 1937 auf dem Plakat der Ausstellung „Entartete Kunst“ abgebildet.

Auch bei Hirschhorn taucht ein Bild der von den Nazis verfemten Arbeit wieder auf; das Hauptgewicht der Installation liegt allerdings auf den diffusen Schnipseln aus Freundlichs Biographie, in der er etwa schrieb: „Ich lebe nicht für mein Privatleben, sondern kämpfe für die Befreiung der Menschen und Dinge von den Gewohnheiten des Besitzes und gegen alles sie Begrenzende, was ihrer wahren Natur nicht entspricht.“ Hirschhorn geht es um eine Annäherung an Freundlichs Utopie, es ist aber auch eine „schnellgemachte, billige, momentane Ehrung für jemanden, der an dieser Stelle gestorben sein könnte“, wie er im Kurzführer zur Biennale erläutert. Gerade wegen dieser Flüchtigkeit, mit der im vergangenen Jahr zuletzt auch ganz spontan der toten Lady Di auf den Straßen von Paris gedacht wurde, funktioniert die Installation im öffentlichen Raum.

Leider ist Hirschhorns Eingriff ins Stadtbild neben Olafur Eliassons grün eingefärbtem Spreearm die einzige Außenarbeit. Der Rest der Biennale hat sich, auf drei Gebäude verteilt – das Postfuhramt, die Kunst-Werke und die Akademie der Künste (Ost) am Pariser Platz –, in die Sicherheit der Institutionen zurückgezogen. Das ist für ein Projekt, das sich explizit mit Stadt im Wandel, mit Metropolenkultur und Urbanismus beschäftigen will, ziemlich ungewöhnlich.

Obwohl nach beinahe zweijähriger Recherche ein 400 Seiten dicker Reader zusammengestellt wurde, der von A wie Abenteuer, Armut und immer wieder Auguststraße bis zu Technocity und Zukunft reicht, spiegelt die Ausstellung Berlin und städtisches Leben praktisch nur als willkürlich anklickbare Benutzeroberfläche wider. Auf diversen Videomonitoren kann man Menschen zuschauen, die trist über den Ku'damm bummeln oder auf namenlosen U-Bahnhöfen herumirren. Heike Baranowskys Bildschleifen von an- und abfahrenden Zügen passen trotz der formal trickreichen Rückwärtstour eher ins Nachtprogramm auf B 1; und bei dem mit Techno zugebretterten Venedig- Video von Fabrice Hybert handelt es sich ganz offenbar um ein Abfallprodukt der letzten Biennale, für die er den französischen Pavillon gestaltete. Rikrit Tirvanija hat für seinen auf Super 8 gefilmten Vergleich „Berlin – Bangkok“ zwei gewaltige Trekkingzelte in die Akademieräume gestellt, weil das sehr sozial wirkt; und der Modemacher John de Maya zeigt verständlicherweise die Sommerkollektion für 1999. Erst später fällt einem auf, daß der Ausstellungsparcours im Postfuhramt ja wie ein Laufsteg mit Holzlatten ausgelegt wurde.

Vor allem soll die berlin biennale noch einmal den Bruch nach 1989 durchspielen. Wie ostig sieht die Zukunft aus? Wer holt das Millennium in die neue Hauptstadt? Gehn wir zu mir, zu dir oder lieber gleich zu Schlingensief? Mit solchen Fragen wird sich ein dreitägiger Kongreß innerhalb der berlin biennale beschäftigen, bei dem querbeet gelesen, performt und geclubbt wird. Zumindest dieser Interessenbereich findet seine Entsprechungen in der ausgestellten Kunst: Auf den weiß eingetüllten Lounge-Sesseln von 3 De Luxe kann man im Postfuhramt easy Jazzhouse hören, während aus dem ersten Stock eine Stimme vom Band brüllt. In einem anderen Raum singt Udo Rodinone aus einer überdimensionalen Lautsprecherwand ein bescheidenes Lied über Sonnenschein, und von Pipilotti Rist gibt es einmal mehr das Unterwasservideo mit ihrer Chris- Isaacs-Version aus „Wild at Heart“.

Das Berlin, das der Biennale- Kurator Klaus Biesenbach und seine beiden Berater Nancy Spector und Hans-Ulrich Obrist mit ihrer Künstlerauswahl entwerfen, besteht aus vielen Labels, Logos und Zeichen, nur das Leben fehlt. Überhaupt scheint ein großer Teil der Exponate jede Anzeichen von körperlicher Präsenz oder sonstwie strukturierter Arbeit zu verneinen. Künstlerische Arbeit zumindest ist hier ein unglaublich cleaner Entwurf, der sich an Dienstleistung, Medien und Self- Promotion orientiert. Die documenta-Teilnehmerin Christine Hill beschränkt sich darauf, ihre neue Band zu featuren; Markus Schinwald darf auf Großbildprojektionen am Alexanderplatz für seine Designer-Schuhe Werbung machen; und Jiri Ceiver ist im Grunde sowieso ein DJ aus Frankfurt am Main, der einige seiner Platten nun als Akustik-Installationen vorführt.

Umgekehrt werden auch die Bilder, die außerhalb der sich mit sich selbst vergnügenden Szenen entstanden sind, lediglich zur Reflexion auf die eigenen Befindlichkeiten. Vibeke Tandberg versucht sich in einer Fotoserie als Handball-Schiedsrichterin spielerisch eine Biographie zusammenzuklauben. Doch obwohl auch das Team aus elfjährigen Mädchen mit einigen Aufnahmen porträtiert wird, bleiben die Kindergesichter austauschbar. Allein Jonathan Meese trägt den Clinch mit der vielfach driftenden Wirklichkeit ebenso ichbewußt wie massenwirksam aus. Sein höhlenartig eingerichtetes Zimmer trägt den Titel „Marquis de Sade-Raum“ und arbeitet tatsächlich Meeses persönliche Obsessivität im Umgang mit Zeichen auf: Poster, Gummimasken und Filmzitate fügen sich in ein unheimlich ausgeklügeltes Verweissystem – eine Art Antiordnung, die um so ästhetischer wird, je dichter die Images über die Wände wuchern. Roland Barthes hätte sich über diesen Aufstand jedenfalls gefreut. Andererseits spürt man gerade in Meeses Porno-Disco-Kabinett, wie sehr Medien bereits den Ready-made-Charakter des Alltagslebens aus ebendiesem Alltag in die Kunstwelt verschoben haben.

Gleichzeitig wird diese Erkenntnis nicht mehr an Fragestellungen rückgebunden, die sich genau an diese Imageproduktion richten müßten: Welchen Stellenwert hat Kunst heute noch bei der Übersetzung von Welt in Bilder? Während sich in den späten achtziger Jahren Kontextkunst mit den politischen Verhältnissen hinter den Kommunikationsformen auseinandersetzen konnte, wirkt die Biennale nur mehr wie eine schwammige Auflistung von Ereignissen, die sich allein aus Medieninszenierungen ergeben. Die Stadt ist dafür bloß Kulisse, an der die künstlerischen Erfahrungen kaum anders als Werbefloskeln festgepinnt sind. Das mag für den Kunstbetrieb genügen, die Beschäftigung mit Problemen, die in Sachen Metropole und Verdrängung oder das soziale Abrutschen weiter Bevölkerungsschichten im Katalog angemahnt werden, bleibt dabei allerdings verschwindend gering. Statt dessen erfährt man unter D wie DG-Bank, daß der Sponsor mit dem Ergebnis zufrieden ist: „Wand an Wand bilden Kunst und Wirtschaft eine kongeniale Allianz.“ Insofern zeigt die Biennale ungeheuer konsequent, daß Berlin aus jugendlichen Kulturakteuren in Mitte, einigen Unternehmen auf Standortsuche und einer ganzen Menge Zaungästen besteht. Aber braucht man dafür eine alle zwei Jahre stattfindende Ausstellung?

Berlins Kultursenator Peter Radunski hatte zur Eröffnung für ein solches, doch eher defensives Konzept sehr lobende Worte. Er verglich Biesenbachs Aktivitäten mit denen Paul Cassirers, der als Galerist durchaus rücksichtslos im Berlin der Jahrhundertwende die Sezession und den Spätimpressionismus auf den Weg brachte. Die anschließenden Buhrufe waren berechtigt, dafür ist die berlin biennale dann doch zu harmlos ausgefallen.

Bis 3. Januar 1999. Der als Stadtführer angelegte Katalog ist im Cantz-Verlag erschienen.