Australiens Labor will Schröder-Effekt

In Australien leiden die WählerInnen unter Politikverdrossenheit. Das kann der Rechtspartei One Nation bei den Wahlen am Samstag zu einer Schlüsselrolle verhelfen und Premierminister John Howard das Amt kosten  ■ Aus Sydney Urs Wälterlin

„Ich habe genug von den großen Parteien. Ich wähle sie nicht mehr, bis wieder Vernunft in die Politik kommt!“ meint der sichtlich aufgebrachte George während eines Gesprächs im Einkaufszentrum von Campbelltown, einem Vorort von Sydney. Statt sich um die Probleme des Landes zu kümmern, meint der Australier, sorgten die Politiker nur für sich selbst. George will bei den auf Wunsch des Premierministers vorgezogenen Parlamentswahlen am kommenden Samstag seine Stimme der Rechtspartei One Nation geben. Wähler wie George sind der Alptraum der liberal-konservativen Regierung von Premier John Howard. Wenn am 3. Oktober die 148 Sitze des Repräsentantenhauses und die Hälfte der Posten im Senat neu bestellt werden, könnten die One- Nation-Wähler das unberechenbare Zünglein an der Waage sein.

Umfragen zeigen, daß es die oppositionelle Labor Party knapp schaffen könnte, die Macht zu übernehmen. Und das nach nur zweieinhalb Jahren in der Opposition. Erst im März 1996 hatten die AustralierInnen den verhaßten Regierungschef Paul Keating nach 13 Labor-Jahren abgewählt. Eine überwältigende Mehrheit von 27 Sitzen im Unterhaus schien der Koalition aus Liberal Party und National Party ewiges Leben zu garantieren.

Doch der Enthusiasmus des Souveräns über den frischen Wind in Canberra währte nicht lange. Die unter Labor gewachsene latente Politikverdrossenheit wurde immer akuter. Die neue Koalition schaffte sich rasch auch in den eigenen Reihen Feinde. Die Politik des strikten ökonomischen Rationalismus brachte zwar den Staatshaushalt aus den roten Zahlen, die Frustration der Wähler aber wuchs weiter. Während die Linke über einen Zerfall des Wohlfahrtstaats und die schlechter werdenden Beziehungen zu den Aborigines klagte, fühlten sich die traditionell konservativen Bauern und das Kleingewerbe als Folge der Deregulierungspolitik vernachlässigt.

Dann kam Pauline Hanson. Die wirtschaftlich besonders gebeutelten Regionen des Binnenlands waren ein idealer Nährboden für die ausländerfeindliche Ideologie der ehemaligen Besitzerin eines „Fish and Chips“-Ladens. Seit 1996 redet sie mit ihrer platten nationalistischen und rassistischen Rhetorik den Desillusionierten nach dem Munde. Schuld an den Sorgen der „hart arbeitenden, echten Australier“ sind gemäß Hanson immer die anderen: die Ausländer, die asiatischen Einwanderer, die „privilegierten“ Ureinwohner, das globale „Big Business“ und seine scheinbar willigen Vollstrecker in der Regierung in Canberra. Die Polemik zeigte Wirkung: Hansons Partei erhielt im Juni bei Wahlen im Bundesstaat Queensland 24 Prozent der Stimmen.

Es ist allerdings kaum zu befürchten, daß One Nation am Samstag auf nationaler Ebene ein ähnliches Resultat erzielt. Hanson hat sich im Wahlkampf als derart unglaubwürdig und naiv erwiesen, daß die Unterstützung für One Nation landesweit von 14 auf sieben Prozent fiel. Das behaupten jedenfalls die Meinungsforscher. Dagegen scheint Labor von der weitverbreiteten Unzufriedenheit zu profitieren. Die Partei unter Oppositionsführer Kim Beazley legte seit Beginn des Wahlkampfes zu und kann jetzt mit 42 Prozent der Stimmen rechnen, die Koalition mit 43. Beazley sieht sich auch durch den Ausgang der Wahlen in Deutschland beflügelt. Am Montag sagte er, Schröders Sieg zeige, daß immer mehr Länder von einer konservativen Politik abrückten.

Für viele Kommentatoren ist die Trendwende eine Reaktion auf Howards Wahlstrategie. Er hatte sich geschworen, den Urnengang in eine Volksabstimmung für seinen langjährigen Traum einer umfassenden Steuerreform zu verwandeln. Während sich die AustralierInnen um Themen wie Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung und die negativen Auswirkungen der Globalisierung auf ihre Agrarwirtschaft sorgen, preist der 59jährige Premier seit August die Vorteile einer Konsumsteuer an. Für die Labor Party, den „Underdog“ im Wahlkampf, war die Taktik ein gefundenes Fressen. Sie warnt vor den sozialen Konsequenzen der Steuer, die auch für Lebensmittel gelten würde, und verspricht, alle Anstrengungen dem Kampf gegen die Arbeitslosigkeit von derzeit acht Prozent zu widmen. Inzwischen sprechen sich 67 Prozent aller Wähler gegen Howards Konsumsteuervorschlag aus.

Doch auch eine Verschiebung der Wählergunst in Richtung Labor kann nicht von der tiefsitzenden Frustration, der Wut des Volkes auf die „politische Klasse“ ablenken. Genau aus diesem Grund macht sich auch Pauline Hanson keine Sorgen um die Meinungsumfragen. Sie zählt darauf, daß der Zynismus die Schritte der Wähler lenken wird, wenn sie zur Urne gehen und daß One Nation im Senat eine Schlüsselrolle zufällt.

Wie George sehen nicht wenige in der Wahl One Nations die einzige Möglichkeit, sich an den etablierten Parteien zu rächen, denen man schon lange kein Wort mehr glaube. Der „Hang zur Verlogenheit“ beginne beim Premier. Tatsächlich hatte Howard noch vor kurzem versichert, eine Konsumsteuer werde es unter seiner Führung „absolut niemals“ geben.