Malaysias Ex-Vizepremier in der Haft mißhandelt

■ Anklageerhebung gegen den in Ungnade gefallenen früheren Finanzminister Anwar Ibrahim. Der Politiker beteuert seine Unschuld und berichtet, er sei im Gefängnis geschlagen worden

Kuala Lumpur (AFP/taz) – Der vor zehn Tagen inhaftierte ehemalige malaysische Vize-Regierungschef und Finanzminister Anwar Ibrahim ist gestern in Kuala Lumpur vor Gericht gestellt worden. Die Generalstaatsanwaltschaft legte ihm neun Anklagepunkte zur Last: in fünf Punkten wird Anwar Analverkehr vorgeworfen, in vier Fällen Korruption. Eine weitere Anklage soll heute vor einem anderen Gericht erfolgen. Im Falle eines Schuldspruchs muß Anwar für jeden der Punkte mit bis zu 20 Jahren Haft und Peitschenhieben rechnen.

Anwar wies gestern die Vorwürfe erneut zurück und betonte, er sei unschuldig. Augenzeugen berichteten, er habe ein geschwollenes Auge und Blessuren am rechten Arm gehabt. Er sei an seinem ersten Tag in der Haft geschlagen worden, bis er fast ohnmächtig wurde, sagte er gegenüber Journalisten. Das Gericht lehnte gestern eine Freilassung des bei Premierminister Mahathir Mohamad in Ungnade gefallenen Politikers gegen Kaution ab, gestattete jedoch eine ärztliche Untersuchung. 200 Polizisten hatten das Gerichtsgebäude in Kuala Lumpur weiträumig abgeriegelt und die Zufahrtsstraßen gesperrt. Neue Proteste gegen die Inhaftierung Anwars wurden zunächst nicht gemeldet. Die Polizei hatte Anwars Anhänger mit einem hartem Durchgreifen gedroht.

Er sei mit verbundenen Augen und in Handschellen gefesselt in einen dunklen Raum gesperrt worden, sagte der 51jährige Anwar vor Journalisten. Dort sei er in Isolationshaft gehalten worden. „Ich wurde sehr fest geschlagen, bis Blut aus meiner Nase kam und meine Lippen aufplatzen.“ Seinem Ruf nach einem Arzt sei erst fünf Tage später entsprochen worden. Anwars Frau Wan Azizah Ismail forderte gestern auf einer Pressekonferenz Premierminister Mahathir auf, die Mißhandlung ihres Mannes im Gefängnis zu erklären. Mahathir ist auch Innenminister.

Der 72jährige Premierminister, der Malaysia seit 17 Jahren autokratisch regiert, hatte seinen Stellvertreter und bisherigen Wunschnachfolger Finanzminister Anwar am 2. September wegen angeblicher Korruption und sexueller Verfehlungen entlassen und am 20. September festnehmen lassen. Es wird vermutet, daß die Anschuldigungen nicht der wahre Grund für die juristische Verfolgung Anwars sind. Hintergrund sind offensichtlich Meinungsverschiedenheiten zwischen ihm und Mahathir über die Bekämpfung der Wirtschafts- und Finanzkrise. Die drakonischen Sicherheitsgesetze Malaysias erlauben es, einen Beschuldigten zunächst unbegrenzt ohne Prozeß in Haft zu halten.

Nach seiner Entlassung hatte Anwar eine Reformbewegung gegründet und auf seinen Kundgebungen Zehntausende versammelt, die den Rücktritt Mahathirs verlangten. Noch am Montag hatte die Polizei eine Protestkundgebung gegen die Regierung gewaltsam aufgelöst und mehrere Dutzend Anhänger Anwars festgenommen. Wie Augenzeugen und Korrespondenten berichteten, ging die Polizei mit Elektro- Schlagstöcken gegen rund 3.000 Demonstranten vor, die in Kuala Lumpur den Rücktritt Mahathirs forderten und Anwar ihre Unterstützung aussprachen. Zu den am Montag rund 60 Verhafteten soll auch der Vorsitzende des erst am Sonntag gegründeten oppositionellen Reformbündnisses „Koalition für eine Demokratie des Volkes“ gehören. han