: Der Krieg ist aus
Ausgerechnet zu seinem 60. Geburtstag wird der legendäre Deutsche Dienst der BBC wohl bald eingestellt ■ Von Anja-Christina Burkel
Treuselig wartet Lili Marleen auf ihren Liebsten. Der dient im Krieg, sie verzehrt sich in Versen, und das allabendlich im Schein der Straßenbeleuchtung: „Ich wart an der Laterne, deine Lili Marleen.“
An diesem Frühlingstag, mitten im Krieg, gerät Lili Marleen nach der ersten Strophe aus den Fugen: „Ist es Ihnen schon aufgefallen“, unterbricht eine Moderatorenstimme britischen Akzents, „daß dieses Lied schon lange nicht mehr gehört wird? Warum wohl? Vielleicht weil Lale Andersen im Konzentrationslager ist?“ Der Rest von Lili Marleen mutiert in dieser Radiosendung zum Spottlied auf Hitler.
Im Krieg gab's Jazz und Satire statt Propaganda
Es ist April 1943. Was viele Deutsche hören – heimlich, heimlich, unter Matratzen und Federkissen –, ist der German Service des britischen Weltsenders BBC, seit 27. September 1938 im Äther. Die Übersetzung einer Rede des britischen Premiers Chamberlain war damals der allererste Programmpunkt, erst ein Jahr später sendete die BBC regelmäßig, 45 Nachrichtenminuten am Tag. Bald kam Jazzmusik ins Programm, Diskussionsrunden und künstlerische Beiträge wie der Lili-Marleen- Verschnitt oder Satiresendungen: Man hielt es für geschickter, die Deutschen unterhaltend zu beeinflussen statt mit Kriegspropaganda.
Bis 1941 flogen immer wieder die Fetzen um die Unabhängigkeit der BBC: Zwar öffentlich-rechtlich organisiert, kam sie im Krieg um gewisse Richtlinien der Propagandaabteilung Political Warfare Executive (PWE) nicht herum. Via BBC durfte nichts über die britische Streitkraft durchsickern, so die Vorgabe. Nachdem Chamberlains Appeasement-Politik gescheitert war, wurde der German Service ein Gegengewicht zur Propaganda des gleichgeschalteten deutschen Rundfunks. Die BBC war im Dritten Reich als „Feindsender“ gebrandmarkt – auch wegen der prominenten Emigranten, die ihre Sandwiches in den Redaktionen verdienten: der Schriftsteller Richard Friedenthal, der Politiker Erich Ollenhauer oder der Theaterkritiker Alfred Kerr. Sigmund Freud und Albert Einstein kamen zu Wort, Thomas Manns Ansprachen an deutsche Hörer wurden per Telefon aus seinem kalifornischen Exil auf Schallplatten nach London übertragen.
Die „ruhige Stimme aus London“ genoß den Ruf, Tatsachen zu senden, aus damaliger Sicht ein Luxus. Im Reich stand auf „Rundfunkverbrechen“ in „schweren Fällen“ die Todesstrafe: „Wer London und wer Moskau hört, verdient den Schierlingsbecher“, ereiferte sich ein Nazi-Poet: „Wer heute noch die Ordnung stört / macht selbst sich zum Verbrecher. / Solch armer Irrer ist fürwahr / im Krieg nicht auf dem Posten, / und seine Dummheit kann sogar / die werte Rübe kosten.“
Derlei Vebrechen freilich beugte die Partei vor: Die eigens produzierten Volksempfänger empfingen nur den gleichgeschalteten Reichsrundfunk – auf Kurzwellen aus dem Ausland reagierten sie taub.
Trotzdem schätzt man bei der BBC, daß 1944 täglich 10 bis 15 Millionen Deutsche mit aufgepäppelten Geräten die Berichte über Kriegslage und Judenvernichtungen verfolgten. Als das Dritte Reich 1945 zugrunde ging, berichtete ein BBC-Reporter als einer der ersten alliierten Journalisten aus dem befreiten Konzentrationslager Bergen-Belsen.
Nach dem Krieg prägte der Leiter des German Service, Hugh Carleton Greene, maßgeblich das neue Gesicht der deutschen Rundfunkordnung: Sie wurde öffentlich-rechtlich, nach dem Londoner Vorbild. 1948 eröffnete die BBC selbst am Fehrbelliner Platz in Berlin ein kleines Korrespondentenbüro. Charles Wheeler, der ab 1950 dort arbeitete, erinnert sich an die Nachkriegsjahre: „Ich war praktisch Kalter Krieger. Der Deutsche Dienst der BBC hatte ein ,Programm für die Ostzone‘, das jeden Abend eine halbe Stunde lief. Es war so politisch – genauso politisch – wie der Deutsche Dienst während der Nazizeit.“ Tatsächlich wurde wieder mit Satire gekämpft, in Sendungen wie „Die zwei Genossen“ oder „Der verwunderte Zeitungsleser“.
Mit dem Mauerbau wurde die Arbeit der BBC-Korrespondenten durch politische Vorgaben und Verbote getrübt: Recherchen im Osten der Stadt mußten ohne Mikrofon und Tonband auskommen. Solange Deutschland geteilt war, wollte der German Service erneut Information gegen Propaganda setzen, wie schon in der Nazizeit. „Abends sagte meine Mutter: ,Schließ die Wohnungstür zu, wir wollen den Londoner Rundfunk hören. Wir müssen wissen, was los ist‘“, erinnert sich ein Hörer aus Erfurt. Jugendliche interessierten sich mehr für die Popsendungen der BBC – eine der wenigen Möglichkeiten, Hits aus dem Westen zu hören. Wer es wagte, schickte „Briefe ohne Unterschrift“ an eine der Deckadressen in Westberlin. „Das hier wollte ich Ihnen eigentlich schon vor Jahren schreiben...“, begannen viele Briefe nach dem Fall der Mauer.
Die Stammredaktion des German Service, gut zwei Dutzend Mitarbeiter, sitzt heute wie vor 60 Jahren im honorigen Londoner Funkhaus Bush House. „Aber der alte BBC-Heroismus, auch noch im Bombenhagel die Nachrichten zu lesen, ist versicherungstechnischen Bedenken zum Opfer gefallen“, räumt Redakteur Matthias Thibaut ein. „Bei einem Feueralarm zum Beispiel wurde das Studio unlängst umgehend geräumt.“
„Für Interessierte, weniger für Anglophile“
Der German Service sendet heute im Zweistundentakt Nachrichten. Der Schwerpunkt liegt natürlich auf Großbritannien. Über das BBC-Heimatland wird mit Specials wie „Tips für Touristen“ oder „London Life“ berichtet. „Wir wenden uns an Hörer, die anglo-interessiert, aber nicht unbedingt anglophil sind“, erklärt Eckhard Berkenbusch, Leiter des Berliner Korrespondentenbüros: „Und natürlich konzentriert sich unsere Stammhörerschaft auf Berlin und Brandenburg.“ Nur hier kann der German Service nämlich über UKW empfangen werden, während die Mittelwelle, die ins ganze Bundesgebiet sendet, nur noch wenig genutzt wird. Und Satellit oder Internetradio sind längst noch keine gängigen Übertragungsformen.
Technisch ist die BBC mit der Zeit gegangen, berufsethisch nicht: Noch immer ist sie das Markenzeichen schlechthin für seriösen Journalismus. SR-Hörfunkdirektor Franz-Josef Reichert schwärmt gar von einem „Leuchtfeuer der Freiheit“.
Ganz so frei ist der World Service nun wieder nicht: Zum größten Teil finanziert er sich aus der britischen Staatskasse: Und 152 Millionen Pfund pro Jahr (für 1997/98) verpflichten durchaus, auch wenn die redaktionelle Unabhängigkeit in einer königlichen Charta verbrieft ist. In den letzten Jahren wurde das Geld knapper verteilt: Der französische und der finnische Dienst wurden eingestellt, auch am German Service wird seit der Wiedervereinigung geknausert. Nun droht ihm wohl endgültig das Aus. Nach einem Sparprogramm, das Einsparungen von jährlich 20 Millionen beim World Service vorsieht, steht auch der legendäre German Service auf der Abschußliste.
„Für die BBC wäre das Aus ein Gesichtsverlust“
Zwar soll über die Sparpläne in der BBC-Spitze und im Außenministerium erst Ende November entschieden werden. Aber die Gerüchte über das Ende werden unter den Mitarbeitern in London und Berlin zur Gewißheit, seit in der vergangenen Woche Sam Younger, der Chef des World Service, ausgetauscht wurde. Der Berliner BBC-Mann Berkenbusch hofft noch: „Für die BBC“, erklärt er, „wäre es ein Gesichtsverlust.“
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