Kein Geld und Lohn in Haarspray

Haarspray-Hersteller Wella hat vor der Krise über ein Drittel seines Umsatzes in Osteuropa erwirtschaftet. Nun ruhen in Rußland die Maschinen  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Darmstadt (taz) – Die Besten müßten hin – nach Rußland. Aber die Besten wollen nicht einmal nach Thüringen. Gerd Uhlmann (45), Chef der Abteilung Regional Management Osteuropa der Wella AG in Darmstadt, hält Manpower aus dem Westen für effektiver beim Aufbau Ost – „jenseits von Polen“ – als die pure Verteilung von Geld. „Wo sind sie geblieben, die Milliarden von Dollar der Weltbank?“ Seine Frage beantwortet er selbst: „Verschwunden in einem schwarzen Loch aus Korruption auf allen Ebenen.“

Selbst mit den Milliarden, die Bonn zum Bau von Wohnungen für die Soldaten der in der DDR stationierten Roten Armee nach Moskau überwiesen habe, hätten türkische Baufirmen nur „Potemkinsche Dörfer“ errichtet. Die Krise in Rußland sei „allumfassend“. Und heute, acht Jahre nach der Wende, können sich die „tapferen Frauen in Rußland“ – „die Männer sind leider oft echte Abhänger“ (Uhlmann) – offenbar noch nicht einmal mehr eine Dose Haarspray von Wella, produziert in Dserschinsk in der Region Nischni Nowgorod, leisten.

Für rund 40 Millionen Mark hatte Wella 1993 in Dserschinsk eine Fabrik für Kosmetikartikel und Friseurbedarf errichtet. Seit dem 17. August, als die Währungs- und Regierungskrise in Rußland offen ausbrach, stehen dort die Maschinen still. Der Umsatz geht deshalb „in dem aufgrund seiner Bevölkerungszahl wichtigsten Ostmarkt Rußland“ heute gegen Null. Im vergangenen Jahr hatte Wella 34,4 Prozent seines Umsatzes in den aufstrebenden Märkten in Osteuropa, Lateinamerika und Südostasien erzielt. Der Umsatz stieg um 39 Prozent auf 296 Millionen Mark.

Gewinnprognosen werden revidiert

Am Montag dieser Woche mußte Wella zugeben, daß aufgrund der Krisen in diesen Regionen sich die Gewinnprognosen für dieses Jahr nicht erfüllen werden. In Japan ist der Yen zu schwach, und die Menschen sparen, anstatt Haarspray zu kaufen. In Rußland kommt erschwerend hinzu, daß die Händler und Großabnehmer in Dollar und Deutscher Mark zahlen müssen. Nach dieser Ankündigung stuften zwei Agenturen die Kreditwürdigkeit von Wella zurück, die Aktien waren nicht mehr mit Prädikat „Kaufen“, sondern „Akkumulieren“ versehen. Der Kurs der Wella-Aktie sank daraufhin innerhalb von zwei Tagen um 8 Prozent.

Allerdings, sagt Osteuropa-Experte Uhlmann, habe im ersten Halbjahr 1998 noch ein „gewaltiger Umsatzschub“ konstatiert werden können, so daß der Stillstand vor dem vierten Quartal das Jahresergebnis „nicht so doll verhageln“ werde. Polen, Ungarn und die Tschechische Republik seien ohnehin weiter Boomländer und den Russen in Sachen Marktwirtschaft und Demokratie „um Lichtjahre voraus“. Uhlmanns Optimismus hat sich bis zur Börse allerdings noch nicht herumgesprochen.

Von den rund 450 russischen MitarbeiterInnen, die in der Vertriebszentrale von Wella in Moskau und in der Fabrik in Dserschinsk mit Rubel – angelehnt an den Dollarkurs – bezahlt werden, sei keine entlassen worden, sagt Peter Skopp, Sprecher von Wella. Das funktioniere aber nur, weil alle Beschäftigten von Wella in Rußland in der aktuellen Krise freiwillig auf 50 Prozent ihrer Gehälter verzichteten. Die Löhne seien ohnehin „im oberen Drittel der Gehaltsskala“ angesiedelt. Und die Angestellten haben einen entscheidenden Vorteil: Das Geld wird pünktlich und komplett in Rubel ausgezahlt – und nicht etwa wie andernorts üblich in Wodka oder Haarspaydosen.

Uhlmann ist nicht nur auf seiner Visitenkarte Osteuropaexperte. Vor der Wende war der promovierte Chemiker aus dem Vogtland schon beim Kosmetikkombinat Londa beschäftigt. Londa war vor dem zweiten Weltkrieg die Mutter von Wella. Heute ist Londa eine Tochter von Wella.

Der schon im gesamten Ostblock bekannte Markenname Londa verhalf Wella nach der Wende schnell zum Durchbruch in Osteuropa. Die alte Marke errang die Marktführerschaft in Sachen Haarkosmetik. Heute fährt Wella in allen Reformstaaten zweigleisig: Wella als Premiummarke und Londa für die breite Masse der Käuferinnen. Von 1996 auf 1997 konnte Londa den Umsatz mit Haarkosmetikprodukten in Osteuropa um 47,4 Prozent auf 117,4 Millionen Mark steigern.

Hoffnung auf eine Markterholung

Uhlmann ist Optimist. Und deshalb hat er Order gegeben, noch in dieser Woche die Maschinen in Dserschinsk wieder vorsichtig anlaufen zu lassen. Der Vertrieb soll auch wieder aktiv werden. „Aber nur in den großen Städten, in denen die Banken kontrolliert werden können.“ Wer in die Provinz liefere, laufe Gefahr, seine Ware nicht mehr bezahlt zu bekommen.

„Es gibt Anzeichen für eine Stabilisierung“, sagt Uhlmann. Auch wenn sich der Westen die Vorstellung abschminken müsse, daß in Rußland in den nächsten Jahren Verhältnisse wie in Westeuropa oder auch nur wie in Ungarn herrschen könnten. „Da gab es immerhin mehr als 70 Jahre Betonkommunismus.“