piwik no script img

Scorsese aus Altona

■ Warum das Filmfest Hamburg in diesem Jahr besonders Sinn machte

Wer spendiert das nächste Festival? Auf der Abschlußpressekonferenz des Filmfests Hamburg wurden imposante Zahlenreihen aufgefahren, aber um die zentrale Frage wurde herumgeschlichen. Für 1999, so Festivalleiter Josef Wutz, seien die Mittel von der Hamburger Kulturbehörde zugesagt, allerdings kämen sie dann nicht mehr direkt aus deren Etat. Nun darf orakelt werden, wie die Kinoschau im nächsten Jahr finanziert wird. Immerhin übernahm die Kulturbehörde heuer über die Hälfte der zwei Millionen Mark Produktionskosten. Den Rest trugen Sponsoren – weshalb es sich ein großes Kreditinstitut denn auch nicht nehmen ließ, vor jeder Vorstellung aufdringlich gute Unterhaltung zu wünschen.

Um nicht falsch verstanden zu werden: Häme ist gegenüber dem am Mittwoch zu Ende gegangenen Filmfest und dessen Impresario Wutz unangebracht. Der gibt sich vielleicht manchmal ein bißchen unüberlegt der Selbstinszenierung hin, etwa wenn er bei der Festivalvorbereitung per Rundfax sein jugendliches Team feiert und besonders die sieben knackejungen Praktikantinnen herausstreicht. Aber im Grunde ist er der rechte Mann am rechten Ort.

Ist ja auch eine heikle Angelegenheit, eine Kinoschau zu organisieren in einer Stadt wie Hamburg, die sich gerne als Medienmetropole feiert, dieses Image aber am liebsten ganz kostenneutral vermitteln würde. Jeder verlangt etwas anderes vom Filmfest, und jeder bekommt es. Die einen wollen Glamour, die anderen den Wirtschaftsstandort Hamburg repräsentiert sehen, wieder andere die Filmstadt mit Tradition, und natürlich wollen alle auch noch ganz viel gutes Kino zu sehen bekommen. Das sind Ansprüche, die jedes Jahr aufs neue miteinander versöhnt werden müssen. Die Veranstalter bewältigen das mit Pragmatismus.

Und zwar so: Die Glamour- Fraktion wird beglückt, indem alle Jahre wieder einem Hollywood- Repräsentanten der Ehrenpreis zugesteckt wird, womit geschickterweise gleichzeitig auch die Lokalpatrioten bedient wären, weil dieser Ehrenpreis nach dem in Hamburg geborenen Melodramen-König Douglas Sirk benannt ist. Dieses Jahr erhielt ihn Peter Weir für seine „Truman Story“. Die Wirtschaftslobby wird bedient, indem man eine Reihe mit Fernsehproduktionen aus Hamburger Studios zeigt. Diesmal waren viele Vorstellungen der schon im Titel auf den internationalen Markt schielenden Sektion „TV made in Hamburg“ sogar ausverkauft, was daran lag, daß hier auch die Abonnement-Darsteller des deutschen Films vertreten waren, von Nicoletta Krebitz über Joachim Król bis Uwe Ochsenknecht.

Das Filmfest Hamburg ist also eine recht unübersichtliche Gemengelage von Interessen. Da ist es den Programmachern hoch anzurechnen, daß sie bei aller Lobby- politik nicht vergessen, um was es eigentlich geht: den Film. Nach der eher dünnen Auslese des Vorjahres konnten diesmal viele Namen gewonnen werden, die das Cineastenherz höher schlagen lassen: Emir Kusturica, Theo Angelopoulos, Whit Stillman, Lars von Trier, Spike Lee, Hal Hartley – von ihnen wurden neueste Arbeiten gezeigt. Freilich hatten die meisten schon auf den großen Wettbewerb-Festivals ihre Premieren gefeiert. Aber es ist auch nicht der Anspruch des Filmfests, mit Berlin, Cannes oder Venedig zu konkurrieren. Vielmehr geht es darum, möglichst viele interessante Beiträge zusammenzutragen. Da können lokale Cineasten endlich die Highlights anderer Festivals begutachten, und angereiste Filmarbeiter verschaffen sich ein umfängliches Update über die Veröffentlichungen der nächsten Saison.

Sehr schön. Allerdings läßt sich die Programmgestaltung auch in einigen Punkten bemängeln, die Unterteilungen in verschiedene Sektionen geht nicht immer auf. Warum es zum Beispiel eine Reihe mit dem Titel Francofolies geben muß, obwohl doch jeder weiß, daß außer dem alljährlichen Rivette und Rohmer kaum noch etwas von Bedeutung aus Frankreich kommt, will nicht recht einleuchten. Und die eurozentristische Zusammenlegung fernöstlicher Kino-Arbeiten als „Spotlight Asien“ ist mehr als fragwürdig, zumal nach der zuletzt lauen Filmproduktion in Hongkong fast alle spannenden Werke aus Japan kommen.

So machte es durchaus Sinn, sich eine eigene Route durch die „Young Cinema“ und „Intersection“ betitelten Hauptprogramme zu schlagen und Vernüpfungen auf eigene Faust herzustellen. Junges Kino meint hier zum Beispiel die Suche nach Identität von in Deutschland lebenden Migrantenkindern der zweiten und dritten Generation. Premiere hatten gleich zwei Filme, in denen es um junge Türken in Hamburg geht. Unterschiedlicher könnten die allerdings nicht sein: Während Yüksel Yavuz in „Aprilkinder“ den klassischen Konflikt der Generationen durchspielt und seine jungen Helden zwischen den Kulturen taumeln läßt, ist eine Angelegenheit wie Identität für Fatih Akin die einfachste Sache der Welt. Der Mittzwanziger baut für „Kurz und schmerzlos“ einfach New Yorks Little Italy, wie er es in Martin Scorseses Mean Streets gesehen hat, eins zu eins in den Straßen von Hamburg-Altona nach: Ein Serbe, ein Grieche und ein Türke kiffen, gucken Videos, dealen mit Waffen, und am Ende, so will es die Logik solcher Straßendramen, werden sie ordentlich vermöbelt. Eher ein Zufall, daß die Protagonisten nicht deutscher Herkunft sind, denn die kennt der inzwischen heftig diskutierte Regisseur eben am besten, weil er selbst nicht deutscher Herkunft ist.

Auch wenn Fatih Akin reichlich genervt davon ist, daß alle Welt seine Herkunft zum Thema macht: „Kurz und schmerzlos“ ist ein wichtiges Werk, weil jetzt in den entweder bleiernen oder total belanglosen deutschen Film etwas Einzug hält, was im amerikanischen Genre-Kino schon lange existiert: die andere Ethnie als Selbstverständlichkeit.

„Kurz und schmerzlos“ verhalf dem Filmfest zu einer gewissen Relevanz. Denn durch diesen Beitrag wurde erreicht, was all die aufgeputzten TV-Produktionen aus der gleichen Stadt nicht liefern können: das Kino vor der Haustür zu repräsentieren. Das Filmfest Hamburg ist eine diplomatische Veranstaltung. Dieses Jahr machte es auch Sinn. Christian Buß

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen