■ Fitness, Wellness, Jogging, Stretching, Powerwalking – und jetzt das: The Big Sleep – Pennen um den Sieg
Als sich die völlig übermüdeten Spieler der Los Angeles Yawners in ihren rotweißgestreiften Pyjamas mit letzter Kraft auf das Spielfeld der Pacific-Sporthalle in Malibu schleppen, brandet begeisterter Beifall der 8.000 Zuschauer auf. Er schwillt zu einem Orkan an, als Mike Tanner, der Spielmacher der Yawners, bereits tief schlummernd auf einer Liege hereingetragen wird. Keine 10 Minuten nachdem die einschläfernden Gesänge der „Sleep-Leaders“ verstummt und der Unparteiische die Spitzenbegegnung der nordamerikanischen Hallendös-Liga gegen die Boston Dozers angepfiffen hat, liegen die Kontrahenten schon im Tiefschlaf. Kein Laut stört die konzentrierte Ruhe, selbst das Gebläse der Klimaanlage ist abgestellt.
Bill „Big Sleep“ Dundee, der große alte Mann des Hallendösens, bringt die Philosophie der Trendsportart lakonisch auf den Punkt: „Andere Sportler rennen um den Sieg, Hallendöser pennen um den Sieg.“ Definitiv kein Sport für Tatmenschen. Die Parallele zur häuslichen Ehebettsituation macht dabei den besonderen Reiz des Spiels aus: je zwei gegnerische Spieler teilen sich eine Matte. Sieger dieses gnadenlosen Verdrängungswettbewerbs ist die Mannschaft, die mit den wenigsten Regelverstößen die 90 Minuten durchpennt und die meisten Gegner von der Matratze verdrängt hat. Schnarchen, Schlafwandeln und unfaire Tacklings sind nicht gestattet, und alles, was die Zuschauer zum Mitdösen bringt, wird – in eigens anberaumten Wachpausen – vom Publikum müde beklatscht.
Doch zurück zum Spiel! Gerade begeht der Quarterback der Boston Dozers, ansonsten ein aufmerksamer Bewacher seines Gegenspielers, einen schweren Regelverstoß! Sein lautes Schnarchen muß der Schiedsrichter ahnden! Da wird ein Freistoß fällig. Doch wer von den L.A. Yawners soll ihn ausführen? Einzig der Abwehrrecke Frank Sanchez kann noch mit schlafwandlerischer Sicherheit die Schlummerrolle über die dösende Abwehrkette ins gegnerische Tor schlenzen, bevor er wieder auf die Matte sinkt.
Nicht immer sind die komplizierten Regeln des US-Sports leicht zu durchschauen, doch sollte es den Funktionären gelingen, das Spiel auch in Europa zu etablieren, könnten sie damit ein neues TV- Zeitalter einläuten: Millionen von Couch Potatoes, die bislang ob ihrer verschämten Nickerchen vor dem Bildschirm mehrheitlich mit schlechtem Gewissen zu Bett gingen, könnten nun offensiv mitdösen. Zugleich handelt es sich dabei um einen echten Breitensport, bei dem die häuslichen Amateure nicht selten den Profis in den Arenen den Rang ablaufen. George Pointer aus Austin, Texas, jedenfalls, der es locker auf täglich fünf Stunden Schlaf vor dem Fernseher bringt, wäre ein so fataler Schnitzer wie das Schnarch-Tackling der Bostoner Sturmspitze Wynton Pelbotsky, das die Dozers kurz vor Schluß der Partie den Sieg kostete, mit Sicherheit nicht passiert.
„Hallendösen ist der ultimative Sport für eingeschlafene Jungs“, sagt Gordon Whitebread, Präsident der Liga und schwergewichtiger Amateurdöser. „Wir haben die Fitness-Welle gehabt und die Wellness-Welle, Jogging, Stretching und Walking, aber nie war was für müde Männer dabei. Es war also höchste Zeit für Dozing.“ Das große Gähnen überkommt ihn, wenn er erzählt, wie die Siegesfeier für die Meister-Mannschaft abgelaufen ist. Nach einem 13stündigen Schlummermarathon, bei dem die Philadelphia Sleepers schließlich alle anderen US-Top- Döser von der Matratze gewälzt hatten, sollte die Stunde des großen Triumphs kommen. Aber das Festbankett, das die Organisatoren zu Ehren der Meisterdöser angerichtet hatten, ließ die Sieger kalt. Sie wollten einfach nur in Ruhe weiterdösen... Rüdiger Kind
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