Betr.: Nach der Bundestagswahl 1998

■ Wechsel '98

Unabhängig von der Personaldiskussion um die Regierungsämter zeichnet sich in der SPD- Fraktion im Bundestag ab, daß die Mehrheit der Abgeordneten Rudolf Scharping als Fraktionsführer behalten will. Das verlautete gestern aus SPD-Kreisen. Viele SPD-Parlamentarier seien verärgert, daß beispielsweise Bundesgeschäftsführer Franz Müntefering als neuer Fraktionschef gehandelt werde. Es sei allein Sache der Fraktion, ihren Vorsitzenden zu wählen, hieß es. Scharping habe in der Vergangenheit durch sein Detailwissen bestochen und bewiesen, daß er die Fraktion gut führen könne. Scharping selbst hatte erkennen lassen, daß er den Fraktionsvorsitz behalten wolle. AP

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SPD und Grüne haben nach dem angekündigten
Kassensturz die Haushaltlage des Bundes als desaströs bezeichnet und rechnen mit einer Finanzierungslücke von bis zu 20 Milliarden Mark im kommenden Jahr. Zusätzlich bestehe ein strukturelles Risiko von weiteren 20 Milliarden Mark, die mittelfristig im Bundeshaushalt fehlen könnten, sagte der Grünen-Finanzexperte Fritz Kuhn nach der Sitzung der von SPD und Grünen eingesetzten Finanzkontrollkommission gestern in Bonn. „Damit wird die neue Regierung umgehen müssen, aber es wird sehr schwer“, meinte Kuhn. SPD-Finanzexpertin Ingrid Matthäus-Maier sagte, angesichts der Haushaltslage sei „für große Wahlgeschenke kein Raum, aber die hat auch niemand versprochen“. In den Koalitionsverhandlungen müßten die Konsequenzen daraus gezogen werden. Im bisherigen Haushalt seien Schwankungsbreiten bei der Rentenversicherung nicht abgedeckt und Ausgaben zu niedrig veranschlagt. Nach Ansicht Kuhns ist ein geringeres Wirtschaftswachstum das größte Risiko für den mittelfristigen Haushalt. Die von der Regierung geschätzte Zahl von 2,5 Prozent Wachstum für 1999 sei mit einem Fragezeichen zu versehen. AP

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Dem neuen
Bundestag gehören insgesamt 207 Frauen an. Mehr als die Hälfte davon (105) sind SPD-Abgeordnete, geht aus einer gestern vom Parlament veröffentlichten Statistik hervor. In der künftig stärksten Fraktion sind die SPD-Frauen angesichts von 193 männlichen Kollegen aber weiter in der Minderheit. Bei den Fraktionen von Grünen und PDS stellen die Frauen dagegen die Mehrheit. 27 der 47 Grünen-Mitglieder sind Frauen. Bei der PDS beträgt das Geschlechterverhältnis sogar 21 zu 14 zugunsten der Frauen. dpa

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Die
CDU hat die Bundestagswahl nach Auffassung der Forschungsgruppe Wahlen verloren, weil sie einseitig auf Bundeskanzler Helmut Kohl gesetzt hat. „Das fast zwanghafte Festhalten an Kohl war sträflich“, sagte Meinungsforscher Matthias Jung gestern in Berlin. Mehr als die Hälfte aller Wähler sei in Umfragen gegen eine rot-grüne Regierung gewesen, aber durchaus für eine Erneuerung. Die CDU habe es versäumt, diese Menschen mit einem anderen Kandidaten zu gewinnen. Auch im Kabinett hätte es ein Stühlerücken geben müssen, meinte Jung. Auch Finanzminister Theo Waigel (CSU) habe die wirtschaftliche Kompetenz verspielt, die der Wähler ihm lange zugebilligt habe. „Der Dilettantismus hätte beseitigt werden müssen.“ dpa