Traumbefehle an alle Vaterlandspersonen

■ Die Außenseite der Innenseite des Wahnsinns: Sibylle Lewitschroffs „Pong“

Pong ist einer, der versucht, „sich die Welt mit einer ungewöhnlichen Beflissenheit, mit viel Kraft und Irrsinn neu zurechtzulegen“. So beschreibt Sibylle Lewitscharoff den Titelhelden ihres schmalen Buches, dessen fulminantes Anfangskapitel ihr den Bachmann-Preis eingetragen hat. Zu Recht, denn es ist schon überaus gekonnt und ebenso vergnüglich, wie uns da der Kosmos eines seltsamen Mannes erschlossen wird, der erkannt hat, „wie die Welt in allen ihren Einzelheiten (...) eine Botschaft für ihn bereithält“.

Daß die Zusammenhänge, die der unter dem Streß des Weltrettens stehende Pong stiftet, von der Norm abweichen, verraten schon die zahlreichen ungewöhnlichen Komposita: Da ereignen sich „Hutwunder“, gilt es den Anfechtungen eines „Bummellebens“ zu widerstehen, müssen Traumbefehle an „alle Vaterlandspersonen“ ausgegeben werden; da registriert Pong das „Lungengeschwätz“ der Frauen, deren Wert oder Unwert er mittels einer „Fehlerwaage“ exakt bemessen kann. Mit zwangsneurotischer Beflissenheit erschafft er sich eine eigene Genealogie, köpft ein Ei auf die einzig richtige Art und bekämpft das Böse in der Welt mit Hilfe eines Stöpseltheostaten der Firma Siemens aus dem Jahre 1881.

Neben der schieren Erfindungsgabe, mit der Lewitscharoff die luzide Wahnwelt Pongs entwirft, besticht vor allem die Subtilität der Erzähltechnik: in einer poetisch- bürokratisch verwundenen Sprache, die auch schon mal bei Rilke und aus der Bibel borgen geht, läßt sich der Erzähler ganz auf den Helden ein, ohne ein Minimum an Distanz je aufzugeben.

Die Innenseite des Wahnsinns wird gleichsam von außen beschrieben, was zu Passagen von geradezu zärtlicher Ironie und feinsinnigem Humor führt: „Später September liegt auf dem Weg, die ersten Ahornpropeller trudeln herab. Vom kräftigen Himmel, von letzter Wärme verlockt, geben die Wespen äußerste Proben ihrer Impertinenz, überfallen die Bäcker, überfallen den Gehweg, ihr Böses immer hin und her. Ein Weltrekord an Gelbreflexen.“ Klaus Nüchtern

Sibylle Lewitscharoff: „Pong“. Berlin Verlag, Berlin 1998, 144 Seiten, 29,80DM