Kommentar
: Gruselpräparate

■ Verfremdete Leichen im Museum sind perfektes Handwerk - mehr nicht

Berlin hat seinen Kunstskandal: Die sogenannten Ganzkörperpräparate des Heidelberger Anatomen Gunther von Hagens wecken ebenso heftige Widerstände, wie sie schaulustige Massen anziehen. Es handelt sich um plastisch gehärtete Leichen, die aufrecht stehend in gefriergetrockneter Ästhetik Spezifika ihrer Anatomie anschaulich machen. Dem Mann, dem man in die Niere greifen könnte, meint man im selben Augenblick guten Tag sagen zu müssen.

Wiederaufgetaucht in der Berliner Kunstausstellung „Macht des Alters“, haben die Leichenskulpturen dem Anatomen neue Publicity eingebracht. Das muß doch strafbar sein, hat eine Besucherin gedacht und Anzeige erstattet. Ihre Bedenken, wen wundert es, sind ethischer Natur.

Die Überreste des menschlichen Körpers – durch Frühgeburt, als entnommene Organe oder als isolierter Rest des Leichnams – interessieren die Anatomie, solange es eine gegeben hat. Aber die Wissenschaft der Spezialisten ist immer auch eine der Laien gewesen – das Hobby zu Wissen. So wie die einen ins Technikmuseum pilgern, um sich den Querschnitt eines Motors anzuschauen, besuchen die anderen das Museo La Specola in Florenz oder das Hygienemuseum in Dresden, um sich an elaborierten Nachbildungen oder isolierten Präparaten in der Imagination des menschlichen Leibes zu schulen.

Was Gunther von Hagens zu bieten hat – „Ganzkörperpräparate“ –, liegt also auf der Schiene wißbegierigen Erschauerns – noch medizinische Pädagogik und schon eine farblich feingetunte Frankensteiniade.

Seine Ideen, plastikinjizierte Leichen als Läufer und Schubladenfiguren zu präsentieren, hat Gunther von Hagens gesuchten Beispielen der Kunstgeschichte abgeschaut. Als kleiner Künstler ist er gewiß ein Spießer: Einmal sein wie Michelangelo! Oder wenigstens Dali. Daß er persönlich als Beuys-Imitator herumläuft, paßt zu dem Spiel.

Niemand glaubt, daß von Hagens meisterliches Handwerk Kunst sei – nicht einmal der Kurator der Berliner Show. Die BesucherInnen bemerken zu Recht, daß die Gruselpräparate in der Berliner Ausstellung fehl am Platz sind. Vielleicht hat die Adelung des Kunstbetriebs dem geltungssüchtigen Präparator sogar geschadet: Als Skulptur betrachtet, werden die Geister wach. Ulf Erdmann Ziegler

Tagesthema Seite 3