Reisen und schreiben

Im HdKdW stellten mehrere literarische Reporter ihre Arbeit vor und diskutierten die unterschiedlichen Herangehensweisen an die Kunst der Reportage  ■ Von Martin Hager

Zwei Jahre hatten die Vorbereitungen gedauert. Letzte Woche gab es die Texte in Lettre International Nr. 42. Diese Woche waren dann zur Krönung die Autoren leibhaftig im Haus der Kulturen der Welt zu erleben. Sieben Autoren und einen Fotoreporter hatten Lettre International und das Haus der Kulturen der Welt dieses Jahr ausgesandt, um „einen gleichzeitigen Blick auf die Welt in ihrer Ungleichzeitigkeit“ zu ermöglichen, um herauszufinden, was sich „hinter dem suggestiven Klang der ,Globalisierung‘ verbirgt“.

Der Ungar László Krasznahorkai in China auf den Spuren des Dichters Li Taibo, der Däne Ian Stage in Algerien auf den Spuren des Revolutionstheoretikers Frantz Fanon und auf seinen eigenen, der US-Amerikaner Peter Matthiesen in der Antarktis bei den Tieren, die Belgierin Lieve Joris im Kongo bei den Menschen, der Tunesier Abdelwahab Meddeb in Kairo auf den Spuren des Islam, der Brite James Hamilton-Paterson in Australien und Neufundland auf der Suche nach gottverlassenen Orten, der Schweizer Fotograf Daniel Schwartz in der ganzen Welt auf der Suche nach Geld, der Italiener Antonio Tabucchi in Florenz bei den Roma.

Texte schreiben aber ist die eine Sache, das Genre „Reportage“ auf der Bühne zu präsentieren eine andere. Das Haus der Kulturen der Welt entschied sich für eine mehrtägige Veranstaltungsreihe zusammen mit einer Ausstellung der Bilder von Daniel Schwartz. Je zwei Autoren wurden gleichzeitig vorgestellt, durften von ihren Projekten erzählen, und der Schauspieler Frank Arnold las Auszüge der Texte in ihrer deutschen Übersetzung. Der völlig übermüdete Tabucchi konnte den Ausführungen Matthiesens über die unberührte Wildnis der Antarktis nichts abgewinnen und blickte trostlos zur Decke, wenn er nicht gerade die Hand vors Gesicht hielt. Matthiesen verschwand dafür ganz aus dem Saal, während Tabucchi über die elende Lage der Zigeuner sprach, die einen unüberbrückbaren Gegensatz zur äußeren Schönheit der Renaissancestadt Florenz bildet.

Das Team Meddeb und Kraszanhorkai war stimmiger. Die zwei Literaten traten der äußeren Realität mit ihrer inneren Stimme entgegen. Der tunesische Intellektuelle Abdelwahab Meddeb, Sohn bedeutender Schriftgelehrter, lebt seit langem in Paris. Kairo ist ihm gleichzeitig Fremde und Heimat, er liefert sich ihr aus und erobert sie. Der ungarische Melancholiker László Krasznahorkai ist Schriftsteller. Er lebt also „nicht im Schatten der Tatsachen, sondern im Schatten einer verlorenen Welt“. Die Annäherung an China ist ein Versuch, Gespräche finden statt, die Isolation bleibt. Schließlich James Hamilton-Paterson und Lieve Joris. Als Reporter sehen sie sich stärker der objektiven Wirklichkeit verpflichtet. Hamilton-Paterson hat kein großes Vertrauen in menschliche Gesellschaften, sein Interesse ist anthropologischer Natur. Was bewegt Menschen, auf einsamen Farmen im australischen Outback zu leben oder im Norden Kanadas in Fischerdörfern auszuharren, obwohl das zugehörige Meer längst ausgefischt ist? Er engagiert sich aber nicht, er will nur dokumentieren. Der Blick kommt stets von außen.

Lieve Joris dagegen nimmt am Leben der Menschen teil. Im Kongo verbrachte sie mehrere Monate, um ein Gefühl zu entwickeln für die Menschen dort, wie sie leben jenseits der Schlagzeilen über Kabila und den Stand des Bürgerkriegs. Kein einheitliches Bild also. Aber ein Einblick in die schiere Zahl der Möglichkeiten, an andere Menschen heranzugehen, Lebensweisen zu Text zu verarbeiten. Abschluß und Dach der Veranstaltung bildete die Podiumsdiskussion jeder gegen jeden über die „Kunst der Reportage“. Individualisten, die sie sind, waren die Autoren eher auf die Darstellung ihrer jeweiligen Standpunkte bedacht denn auf die konkrete Beantwortung von Fragen. Etikette wie „travel writer“ waren nicht angesagt, Hamilton-Paterson ging gar soweit, den von Lettre-Chef Frank Berberich eingeführten Unterschied zwischen Reportage und Literatur gänzlich abzulehnen. Für ihn zählt nur die Qualität des Schreibens, und auch die nur im Rückbezug zu sich selbst. Leser hat er beim Schreiben nicht im Sinn. Ganz anders wiederum Lieve Joris. Sie fühlt sich geradezu „zusammengesetzt“ durch ihre Leser, ohne Feedback macht Schreiben für sie keinen Sinn.

Bei aller Uneinigkeit blieb die Faszination des Themas Repräsentation der Welt durch Text. Der Versuch, den Blick eines Moments aufzufangen und Aussagen darüber zu machen, wahrhafte Aussagen – wie subjektiv sie auch sein mögen. Vielleicht etwas in der Fremde zu finden, was es – im wörtlichen wie übertragenen Sinne – daheim nicht gibt.

Die Bilder von Daniel Schwartz sind noch bis zum 25.10. im HdKdW zu sehen