Unter die Lupe genommen

Psychologen an der HU haben die sozialen Beziehungen von Studenten untersucht. Ergebnis: Die Beziehungsentwicklung hat keinen Einfluß auf die Persönlichkeit  ■ Von Matthias Fink

Wer schon länger studiert, hat es wohl schon erlebt. Nach ein paar Semestern überlegt man, was eigentlich aus den ganzen Leuten geworden ist, mit denen man angefangen hat. Aus dem Blick verloren hat man nicht nur die, welche die Uni ganz verlassen haben. Wovon hängt es ab, wie sich der Bekanntenkreis entwickelt? Von Zufällen, von der Cliquen- und Grüppchenbildung, die oft schon in den ersten Semesterwochen einsetzt? Oder ist doch an allem die Mutti schuld?

Am Psychologischen Institut der Humboldt-Universität (HU) wurde etwas mehr Licht in diese Fragen gebracht. Jens Asendorpf, Professor für Persönlichkeitspsychologie, und Diplom-Psychologin Susanne Wilpers schlossen dieses Jahr ihre „Berliner Beziehungsstudie“ ab. 171 Studierende, die im Oktober 1994 an der HU ihr Studium aufnahmen, ließen sich 18 Monate lang beobachten.

Auf Fragebögen gaben sie untern anderem über ihre sozialen Kontakte Auskunft. Zusätzlich führten einige Tagebuch: Drei Wochen lang mußten sie täglich ihren Umgang mit Mitmenschen beschreiben, den Text im vorfrankierten Umschlag an die Uni schicken oder auf einen Anrufbeantworter sprechen.

Großes Augenmerk legten Asendorpf und Wilpers etwa auf die Zahl der Bekannten. Am Anfang waren die neu nach Berlin Zugezogenen, so zeigte die Auswertung, besonders aktiv beim Knüpfen neuer Bekanntschaften, später hatten sie sich an die beiden anderen Gruppen angeglichen, an die bei den Eltern sowie die schon im eigenen Haushalt lebenden einheimischen BerlinerInnen. Bei Fragen nach „romantischen Interaktionen“ und Geschlechtsverkehr gab zunächst die dritte Gruppe am häufigsten derartige Erlebnisse zum besten, die Vergleichsgruppen zogen aber bis zum 4. Semester nach.

Die Persönlichkeit der TeilnehmerInnen wurde in allerlei Facetten gefaßt, so daß Asendorpf und Wilpers sie verschiedenen Persönlichkeitstypen zuordnen und die so gebildeten Gruppen vergleichen konnten. So zeigte sich etwa, daß größere Schüchternheit – statistisch betrachtet – zur Folge hatte, daß man langsamer als die anderen Erfahrungen in Verliebtheit sammeln konnte.

NesthockerInnen und -flüchterInnen (vor allem heterosexuelle) könnte folgendes interessieren: „Kontaktprobleme zeigten keine Beziehungen zur Wohnsituation (neu zugezogen, noch zu Hause wohnend), sondern zu einer unsicheren Bindung an die Eltern oder einer unsicheren oder fehlenden Bindung an das andere Geschlecht.“

Das Ergebnis der von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Studie war auch für Asendorpf und Wilpers selbst teilweise überraschend. „Wie erwartet erwies sich die Beziehungsentwicklung als persönlichkeitsabhängig, aber entgegen der Erwartung hatte die Beziehungsentwicklung keinen Einfluß auf die Persönlichkeit.“

Sie folgern daraus, daß dies „ein empirischer Beleg für die... bisher... kaum belegte These ist, daß Alltagspsychologie, Psychoanalyse und Behaviorismus eine äußerst einseitige Auffassung von der Beziehung zwischen Umwelt und Persönlichkeit haben: Es sei die Umwelt, die die Persönlichkeit präge. Die Ergebnisse dieser Studie tragen dazu bei, dieses Bild zumindest für das Erwachsenenalter zu korrigieren: Es ist die Persönlichkeit, die wesentliche Teile der Umwelt prägt.“