Das Portrait
: Lieber rot als reuig

■ Renato Curcio

Am Ende wird er wohl derjenige sein, der am höchsten bezahlt für die geringsten Straftaten: Renato Curcio, 57, zusammen mit seiner Frau Mara Cagol und seinem Freund Alberto Franceschini Gründer der „Roten Brigaden“, wurde am Mittwoch, nach Verbüßung von fast einem Vierteljahrhundert Gefängnis, endlich in die volle Freiheit entlassen. Seit 1993 war er bereits Freigänger gewesen.

30 Jahre hatten ihm die Gerichte aufgebrummt, obwohl er als einer der ganz wenigen aus den „Bleiernen Jahren“ niemals eine Bluttat begangen hatte. Doch für die Gerichte war er der Verantwortliche für alles, was seit der Gründung der „Brigate rosse“ (BR) im Rahmen des Linksterorrismus geschah, und so verurteilten sie ihn wegen Bildung einer bewaffneten kriminellen Vereinigung, Entführung, Raub, Beleidigung des Gerichts, Häftlingsaufruhr – und am Ende auch für die Ermordung des christdemokratischen Parteipräsidenten Aldo Moro 1978. Da saß Curcio allerdings schon seit Jahren im Gefängnis.

Entstanden waren die Roten Brigaden aus dem Zerfall der 68er-Bewegung; vor allem in Oberitalien und speziell an der neuen Uni in Trient sammelten sich militante Linke, die nicht mehr nur demonstrieren und Sit-ins veranstalten wollten. 1974 wurde Curcio verhaftet; 1975 holte ihn seine Frau mit einem in die Gefängniswand gesprengten Loch aus dem Knast. Sie wurde wenige Monate danach bei einem Feuergefecht getötet, Curcio danach wieder verhaftet.

Doch während viele, die im Namen des „bewaffneten Kampfes“ tatsächlich gemordet haben und grausame Untaten begangen haben, inzwischen längst auf freiem Fuß sind, gab es gegen jeden Versuch, Curcio vorzeitig zu entlassen, heftige bis bitterböse Proteste aus der Politik, aber auch aus dem Kreise der Familienangehörigen Getöteter. Wahrscheinlich liegen die Motive für diese Aversion gegen Curcio darin, daß dieser bis heute seine damalige Schöpfung BR nicht als Verbrechen, sondern allenfalls als historischen Irrtum ansieht.

Er findet die Morde seiner Nachfolger zwar „bedauerlich wie jeden Mord“, ordnet sie aber stets nur in den „historischen Kontext der damals herrschenden Repression“ ein und rechtfertigt sie damit partiell. Bis auf weiteres will Renato Curcio allerdings nicht über Politik sprechen, sondern erst mal das Leben und volle Freiheit „wieder lernen“. Werner Raith