■ Die EU fährt ohne konkrete Forderungen zur Klimakonferenz
: Das Ende für Kioto droht

„Bitte, ziehen Sie mich über den Tisch!“ wird groß und breit auf der Stirn der europäischen Diplomaten bei der im November stattfindenden Klimakonferenz in Buenos Aires stehen. Denn der Entschluß der EU, keine Obergrenze für den Handel mit Verschmutzungslizenzen festzulegen, lädt die Bremser beim Klimaschutz wie die USA, Japan oder Australien dazu ein, ohne Widerstand der Europäer ihre Vorstellungen durchzusetzen. Die Pläne der größten Energieverschwender sehen vor, anderen Industrieländern ihre nicht erbrachten CO2-Emissionen abzukaufen und dafür weiter die Atmosphäre aufzuheizen. Eine Abkehr von der energieintensiven Lebens- und Produktionsweise, der Einstieg in andere Formen der Energiegewinnung und eine langfristige Entlastung des Klimas werden auf diese Weise verzögert.

Die Europäer könnten ihre windelweiche Politik gegenüber den USA sogar als Klimaschutz verkaufen. Denn schließlich kämpft die US-Administration momentan gegen die Energielobby im Land, um überhaupt das Protokoll von Kioto ratifiziert zu bekommen. Da muß man den Amerikanern schon ein paar Brocken hinwerfen, meinen die Europäer – doch so etwas läßt man sich in Verhandlungen abtrotzen und erklärt es nicht vorher öffentlich.

Die seltsame Entschlußlosigkeit der Europäer hat einen Grund: Noch vor einem Jahr haben sie als die großen Klimaschützer in Kioto die Backen aufgeblasen – und hinterher gemerkt, daß sie sich völkerrechtlich bindende Verträge eingehandelt haben, die sie nicht einhalten werden. Statt der in Kioto geforderten Reduktion der CO2-Emissionen um acht Prozent bis 2010 nimmt der Ausstoß nach neuesten Berechnungen um mehr als zehn Prozent zu. Von dem ehrgeizigen Vor-Kioto-Ziel von 15 Prozent Reduktion redet niemand mehr, und eine einheitliche europäische Klimapolitik gibt es nicht. Im Gegenteil haben fast alle EU-Staaten in den letzten Monaten erklärt, ihre Ziele nicht einzuhalten. Da liegt die Vermutung nahe, die EU wolle den Handel mit Verschmutzungslizenzen, der noch vor einem Jahr als das klimapolitisch Böse schlechthin galt, bald selbst nutzen, um ihre internationalen Verpflichtungen zu erfüllen.

Durch solche Tricks könnten sich die Industriestaaten ihre Co2-Zuwächse gutschreiben lassen, statt das Klimagas zu reduzieren. Wenn dann noch – wie die Umweltverbände fürchten – der Emissionshandel mit den Entwicklungsländern erlaubt wird, wäre das Klimaprotokoll von Kioto praktisch erledigt. Dann nämlich würden alle Quoten eingehalten – und die Erwärmung der Erde ginge ungebremst weiter. Bernhard Pötter