„Wir brauchen Persönlichkeiten“

■ Wohin geht Kohls Partei? Der „Junge Wilde“ Peter Altmaier von der CDU zum Zustand der Union

taz: Herr Altmaier, wie fühlt man sich als frischgewählter Oppositioneller?

Peter Altmaier: (Lacht) Tja, wir müssen Opposition lernen. Das fängt an mit der öffentlichen Darstellung unserer Politik und geht über den notwendigen organisatorischen Umbau der CDU bis hin zur inhaltlichen Erneuerung. Sie sehen, uns steht viel Arbeit bevor.

Wo steht die Union nach der Niederlage?

Wir haben im Bundestag und im Bundesrat fast alle Einflußmöglichkeiten verloren. Insofern stehen wir schlechter da als nach dem Ende der Großen Koalition 1969 oder die SPD nach 1982. Das einzige, was uns jetzt noch in der Opposition zur Verfügung steht, ist die konzeptionelle Kraft der Ideen und Gedanken. Das ist das Pfund, mit dem wir wuchern müssen.

Sie werden zu den „Jungen Wilden“ gezählt. Spüren Sie jetzt Auftrieb?

Ich bin zunächst enttäuscht über unsere Niederlage. Ich hätte gerne das Konzept von Wolfgang Schäuble aus der Regierung heraus verwirklicht. Jetzt müssen die neuen Kräfte, die Generation der 30- und 40jährigen, mit ihm zusammen die Union wiederaufrichten.

Also sollen Posten her?

Das ist keine Frage der Posten und Ämtervergabe allein. Es geht vielmehr darum, unsere Diskursfähigkeit wiederzugewinnen. Dafür brauchen wir Persönlichkeiten, die über Mut und Glaubwürdigkeit in der Sache gleichermaßen verfügen.

Hat Helmut Kohl den Diskurs erstickt?

Ich halte nichts von nachträglichen Schuldzuweisungen. Eine Regierung ist immer in einer anderen Situation als eine Oppositionspartei. Sie mußte das, was sie im Diskurs erörterte und zu Entscheidungen hinführte, anschließend sowohl innerhalb der Union als auch mit der FDP abstimmen. Jetzt aber sind wir frei und können uns neu positionieren. Wichtig ist nicht in erster Linie das Ergebnis der Diskussion, sondern die offene Austragung unserer Konflikte, der Weg dorthin, das Ringen um überzeugende Lösungen.

Muß man nicht, um Kohl hinter sich zu lassen, einen Vatermord begehen?

Helmut Kohl ist mit allen Stärken und Schwächen Teil unserer Geschichte, er wird auch in Zukunft ein wichtiger Teil unserer Geschichte bleiben. Das schließt aber nicht aus, daß sich die neuen Kräfte in der CDU ihren Einfluß Schritt für Schritt erkämpfen. Im übrigen sehe ich das Problem gar nicht so sehr bei Kohl, sondern bei denjenigen, die sich in 16 Jahren so eingerichtet haben, daß ein inhaltlicher Gestaltungsanspruch nicht mehr erkennbar ist.

Noch aber nimmt Kohl Einfluß auf die Besetzung der CDU-Spitzengremien.

Es kommt nicht darauf an, daß wir einige 60jährige durch 40jährige austauschen. Das wäre zu einfach. Die CDU muß ein personelles Tableau entwerfen, das es ihr ermöglicht, die Diskussion über wichtige Probleme intern und im gesellschaftlichen Raum zu führen, Begriffe zu besetzen und Meinungsführerschaft zu gewinnen.

Unter dem Signum „Junge Wilde“ firmieren ja sehr unterschiedliche Positionen. Sie sind, etwa in der Frage eines neuen Staatsbürgerschaftsrechts, weit entfernt von dem hessischen Partei- und Fraktionschef Roland Koch, der vor einer Islamisierung der Republik warnt.

Das ist richtig. Ich empfinde es aber überhaupt nicht als Problem, daß wir da unterschiedlicher Ansicht sind. Im Gegenteil, die CDU als Volkspartei muß die inneren Spannungen und Konflikte, die es in der Gesellschaft gibt, innerhalb ihrer Partei aushalten und austragen.

Wo muß sich die CDU neu positionieren?

Wir haben ein gutes Grundsatz-, das gute Zukunftsprogramm von Wolfgang Schäuble. Unsere Defizite liegen darin, daß wir die programmatischen Inhalte auf konkrete gesellschaftliche Probleme anwenden müssen.

Konkret?

Erstens: Das Sozialstaatsmodell westeuropäischer Prägung muß, in Abgrenzung sowohl zu Neoliberalen als auch sozialpolitischen Traditionalisten, so modernisiert werden, daß es in einer globalisierten Welt kein Standortnachtteil, sondern -vorteil ist.

Zweitens: Wir müssen unser programmatisches Bekenntnis zur sozialökologischen Marktwirtschaft konkretisieren, etwa im Hinblick auf ökologische Aspekte im Steuerrecht, bei internationalen Aspekten im Klimaschutz.

Drittens: Wir müssen Antworten suchen auf die demographischen Veränderungen, das Zusammenleben von Deutschen und Ausländern, auf die Umbrüche in den Familien, die Realität der Alleinerziehenden, der zunehmenden Zahl von Scheidungen, der gleichgeschlechtlichen Lebensbeziehungen, von Singlehaushalten – kurzum, den gesellschaftspolitischen Wandel, den unsere moderne Gesellschaft durchläuft.

Wird sich die Union, im Falle eines neuen Staatsbürgerschaftsrechts, nicht öffnen müssen?

Es gibt ja schon Ansätze in Berlin und Nordrhein-Westfalen, türkischstämmige CDU-Mitglieder stärker an die Union zu binden. Aber natürlich haben Sie recht: Die Union wird sich auf die neuen Realitäten in den Großstädten, in Berlin, Frankfurt, Hamburg, einstellen müssen. Und das wird sich auf die Rekrutierung neuer Mitglieder aus der zweiten und dritten Ausländergeneration auswirken.

Droht die Union nicht durch die thematische Ausdifferenzierung auseinanderzubrechen?

Alle, die hoffen, daß das eintreten wird, werden enttäuscht werden. Im Gegenteil: Unter Wolfgang Schäuble als Parteivorsitzendem kann es eine Renaissance der CDU als Volkspartei geben. Sein Politikansatz, der sich an konkreten Problemem orientiert, paßt sehr gut in diese Landschaft. Er wird um so attraktiver werden, je weniger Rot-Grün es schafft, sich den neuen Realitäten anzunähern. Interview: Severin Weiland