Analyse
: Virtuelle Schwarten

■ Das Buch wird immer mehr zum Teil des ganz normalen Medienbusineß

Während auf der Frankfurter Bücherkirmes noch die rituellen Festreden über den Wert des Lesens geschwungen werden, schaffen die Medienkonzerne Fakten. Zwei Großdeals global agierender deutscher Verlagshäuser schrecken die Branche: Deutschlands bei weitem größter Medienkonzern Bertelsmann kaufte sich vorgestern mit 200 Millionen Dollar bei einer Tochter der US-Buchhandelskette Barnes & Noble ein, die schon für 15 Millionen Dollar Bücher über das Internet verkauft. Und Ende letzter Woche verkündete der Medienkonzern Holtzbrinck eine Allianz mit der Augsburger Weltbild-Gruppe, die sich fast unbemerkt vom Krämer für katholische Erbauungsliteratur zu einem der größten deutschen Buchversender mit angeschlossener Buchsupermarktkette mauserte. Derlei Übernahmemeldungen aus der Verlagsbranche treiben den Hütern der traditionellen Buchkultur das Grausen in die Knochen: Wollen die globalen Konzerne mit Preisdruck und neuen Vertriebswegen unseren Buchhandel ausschalten – angeblich „ein wichtiger Faktor für den guten Bildungsstand unserer Bevölkerung“ (Welt)? Droht mit Globalisierung, Virtualisierung und Konzentrierung dem Bildungsgut Buch das Aus?

Zuerst einmal sind die jüngsten Deals eine Reaktion auf die Macht des Handels beim Buchverkauf hierzulande und eine Vorbereitung auf dessen Zukunft: Sollte sich die EU-Kommission mit ihrem Plan durchsetzen, die Buchpreisbindung zu kappen, hängt die Marktmacht an der Verfügung über Vertriebswege. Auch insofern könnte das Buch seine Sonderstellung unter den Medien verlieren: Im globalen Mediengeschäft ist es längst Trumpf, Medien-„Inhalte“ mit den Verbreitungswegen zu verknüpfen – z.B. Filmproduktionen mit Satelliten- und Kabelnetzen. Die Goldgräberstimmung beim Internet-Buchhandel zeigt, daß die Konzerne nun auch beim Buch verstärkt auf Vertriebsmacht setzen. Das Verschicken von Büchern, per E-Mail bestellt, ist wohl nur Übergangsstadium. Irgendwann wollen die Konzerne die Buch- „Inhalte“ ohne Umweg übers Papier als virtuelle Schwarten direkt durchs Netz schicken. Dabei reihen sich die „Inhalte“ auf lange Sicht in den Reigen der Produkte ein, die Medienkonzerne feilhalten: Erst die Verwertung durch alle Formen hindurch (Buch, Kino, TV etc.) bringt Geld. Dabei geht es vor allem um global vermarktbare Bestsellerstoffe und Fachbücher. Daß die Konzerne sich in ihrer Gier derzeit derart dem Buchgeschäft zuwenden, bedeutet gerade nicht den Tod des Buchs. Sondern seine massive Aufwertung als Medium. Nur, daß es dabei seine Gestalt völlig verändern muß.

Ob es die kleine Liebhaberbuchhandlung mit den schönen Lyrikbänden dann noch gibt, muß deren Kunde entscheiden: Er muß kräftig dort einkaufen. Lutz Meier