: Auf „gebt mir ein Weeh!“ rufen die VerkäuferInnen W – A-L-M-A-R-T
Morning Cheer und Casual Day: Im riesigen Wertkauf-Warenhaus in Oststeinbek hat der neue Besitzer Wal-Mart gewöhnungsbedürftige US-Sitten eingeführt ■ Christine Holch
Wer des Morgens bei „Wertkauf“ im Gewerbegebiet Oststeinbek einkaufen geht, kann Zeuge eines ungewöhnlichen Ereignisses werden: Da steht ein Vorsprecher vor der Belegschaft, reckt die Faust und ruft: „Gebt mir ein Weeh!“ Und die VerkäuferInnen und KassiererInnen recken die Fäuste und rufen: „Weeh“. Dann geben sie ihm ein A, ein L, M, A, R, T – WAL-MART. „Und wer ist die Nummer Eins?“ „Der Kunde“, rufen die Leute. Und eilen wieder an ihre Arbeitsplätze in dem riesigen Selbstbedienungs-Warenhaus zurück.
Neue Sitten sind hier eingekehrt, seit Anfang des Jahres die US-Firma Wal-Mart Stores die 21 deutschen Wertkauf-Märkte übernommen hat. Wal-Mart ist der größte Einzelhandelskonzern der Welt. Und er macht doppelt so viel Umsatz wie der zweitgrößte, Metro aus Köln, der ebenfalls weltweit agiert. Nun zittert die deutsche Einzelhandelsbranche vor dem Riesen mit den Niedrigpreisen.
Den Beschäftigten im Hamburger Markt an der Autobahnausfahrt Öjendorf war ebenfalls bang vor den Amis. Branchenkenner beschreiben die Konzernkultur von Wal-Mart als eine Mischung aus Religion, Basisdemokratie und knallhartem Business. In Deutschland allerdings werden die fremden Sitten behutsam eingeführt. „Manches ist schon sehr gewöhnungsbedürftig“, sagt ein Mitarbeiter.
Beispielsweise der „Morning Cheer“, der morgendliche Schrei-Appell. Der soll das Wir-Gefühl in der Belegschaft stärken. Gut und schön, sagen manche Angestellte. „Aber müssen wir das vor den Kunden tun? Können wir dafür nicht ins Lager gehen?“ Mittlerweile wird der Cheer nur noch zu besonderen Anlässen angestimmt, etwa zur Krönung der besten Kassiererin des Monats – auch das eine neue Sitte. Die Ausgezeichnete darf dann eine Weste tragen mit der Aufschrift „Starkassiererin des Monats“. Sie muß aber nicht, sagt der neue Hamburger Geschäftsführer Nils Nikolai.
Er trimmt den Wertkauf-Markt auf Wal-Mart-Format. Ihm zur Seite steht der Amerikaner David Lorentz. Der bringt manch amerikanischen Brauch ein, etwa den „Casual Day“: Freitags treten die Führungskräfte ihren Beschäftigten nicht in Krawatte und Schlips gegenüber, sondern in Freizeithose und Jeanshemd. Das ist natürlich ein Wal-Mart-Hemd mit aufgesticktem Spruch: „Yes we can.“ Zum Beispiel den Markt statt um neun schon um sieben Uhr öffnen. Service für Berufstätige. „Wir haben einen guten Increase“, sagt Nikolai. Soll heißen: Das kommt an.
Nicht alle Elemente der amerikanischen Erfolgsstrategie sind übertragbar, da sind sich Nikolai und sein amerikanischer Berater einig. Grüßauguste am Eingang zum Beispiel, die Greeters, in den USA oft Rentner, wird es wohl nicht geben. Hingegen gilt auch in Hamburg die „Drei-Meter-Regel“: Jeder Kunde, der nicht mehr als drei Meter vom Verkäufer entfernt ist, soll begrüßt und gefragt werden, ob er Hilfe braucht. Eigentlich müßte auch jeder Mitarbeiter ein Schildchen tragen: „Fragen Sie mich.“ Doch die Schildchen-Druckmaschine ist eben erst angeliefert worden.
Die Wal-Mart-Beschäftigten werden eindringlich zu Kundenfreundlichkeit angehalten. Firmengründer Sam Walton wußte aber auch, daß das nur funktioniert, wenn die Beschäftigten ihrerseits von ihren Vorgesetzten freundlich behandelt werden. Dazu gehört auch mal, wie jüngst in Hamburg, ein gemeinsames Barbecue. Oder ein „Crazy-hat“-Wettbewerb: Die Angestellten kommen mit lustigen Hüten zur Arbeit. Der verrückteste wird prämiert.
Konsequenterweise werden die Beschäftigten „associates“ genannt, Partner. Partnerschaft heißt für Manager Nikolai auch, seine 600 Leute über Umsatzzahlen oder Ladenumbauten nicht am Schwarzen Brett oder über die Abteilungsleiter zu informieren, sondern direkt, in den täglichen Morgenmeetings.
Der 36jährige, der erst seit drei Wochen hier Geschäftsführer ist, jagt ununterbrochen durch seinen Laden. Es muß so viel getan werden. Und er darf viel tun: Die lokalen Wal-Mart-Manager haben mehr Entscheidungsfreiheit als die früheren Wertkauf-Geschäftsführer. Neue Ideen holt sich Nikolai von der Wal-Mart-Homepage im Internet. Was er da findet, hängt er aus, etwa die „Eigenschaften einer guten dienenden Führungskraft: „Hör' den Mitarbeitern zu und frag' sie nach ihrer Meinung.“
Nikolai ist jeden Tag höchstens eine Stunde in seinem karg eingerichteten Büro, für die Post. Ansonsten ist er „unten“, im Laden. Wem immer er von den Beschäftigten begegnet, schüttelt er die Hand. Und immer hat er ein lobendes Wort. „Die Dresdner Stollen sind ganz toll aufgebaut“, sagt er einem jungen schüchternen Angestellten. Und die Auszubildende der Getränkeabteilung wird gelobt, daß sie bei der „Dekoration“ mithelfen will: „Sie hat eine sehr schöne Schrift“.
Die Türen zum Management sind immer offen, Ideen der Beschäftigten sind willkommen, lautet ein Wal-Mart-Grundsatz. Die Wertkauf-Mitarbeiter konnten es anfangs kaum glauben. Mittlerweile seien sie „regelrecht aufgeblüht“, berichtet der junge Co-Manager Torsten Schröder. Er werde jetzt an jeder Ecke angesprochen: „Herr Schröder, ich hab' da noch eine Idee.“ Ob man nicht zwischen den Treppenabsätzen zur oberen Etage eine Bank aufstellen könne, für ältere Kunden. Und schon steht dort eine braunrote Plastikbank.
Über den Kartoffelsäcken hängt das Foto von Bernd Zipfel aus der Abteilung Großeinkauf. Sein Favorit, so sagt das Schild, sei die deutsche Speisekartoffel „Back & Grill“, eine „Super Knolle zum Spartarif“ – fünf Kilo zu 3,96. Jeder Mitarbeiter soll sich einen Artikel aussuchen, den er empfehlen möchte. Ron Tiarks, Deutschlandmanager von Wal-Mart, geht mit gutem Beispiel voran und empfiehlt Damenpantoletten von Birkenstock. Scheue können auch auf einen alarmgelben Sternenaufkleber zurückgreifen: „Einfach gut“ weist solch ein Kleber mit wackeliger Handschrift auf Brandts Frühstückszwieback hin. „Sowas stärkt die Identifikation der Mitarbeiter mit den Produkten“, sagt Nikolai nüchtern.
Die Kunden werden mit anderen Maßnahmen an den Markt gebunden. Auf Schildern am Eingang heißt es: „Garantiert bester Preis. Sollten Sie dennoch einen Markenartikel im Umkreis von 30 Kilometern billiger bekommen, machen wir den gleichen Preis.“
Statt kleine Mengen zu hohem Preis zu verkaufen, nimmt Wal-Mart den Herstellern große Mengen ab und verlangt dafür hohen Rabatt. Der niedrige Einkaufspreis wird an die Kunden weitergegeben, Umsatz und Gewinn über die Masse. „Seit der Übernahme haben wir den Preis von Tausenden von Wertkauf-Produkten gesenkt“, behauptet Pressesprecher Dale Ingram in Arkansas, dem Sitz des Wal-Mart-Konzerns. Das führt oft zu ungewohnten Preisauszeichnungen: Statt handelsüblicher 2,69 Mark wird für Nutella 2,33 Mark verlangt. Die deutsche Einzelhandelsbranche beobachtet den neuen Konkurrenten mit Schrecken. Man befürchtet einen ruinösen Preiskampf. Wen wird Wal-Mart als nächstes aufkaufen?
Bislang blieb der deutsche Lebensmitteleinzelhandel von ausländischen Konzernen verschont. Denn deutsche Kunden sind bis in die Fläche bestens versorgt mit Geschäften. Die Konkurrenz ist deshalb so scharf wie in keinem anderen europäischen Land: Von 100 Mark Umsatz bleiben höchstens 0,7 Prozent Gewinn, also 70 Pfennige. Ausländische Firmen sind an acht Prozent Rendite gewöhnt.
Wal-Mart setzt auf „dauerhafte Niedrigpreise“, einen computerisierten Vertrieb und auf eine konsequente Dienstleistungsphilosophie. Dazu gehört neuerdings auch das Dekorieren. Darauf mußten SB-Markt-KundInnen bislang verzichten. Stolz weist der Hamburger Manager Nikolai auf die hohen Regale, deren oberste Fächer früher als Ersatzlager genutzt wurden. In der Sportabteilung des Marktes wurden sie jetzt freigeräumt und mit einer Reihe Kinderfahrrädern geschmückt. „Erlebniskauf!“ sagt Nikolai. Und die Hosen hängen nicht mehr hintereinander auf meterlangen Stangen. In der Damenabteilung bestücken Verkäuferinnen gerade einen vierarmigen Ständer mit Hosen, dazu passenden Blusen, drapieren gar einen Schal um den Kragen. „Themenverkauf!“ sagt Nikoai. So kommen die großen Marketing-Schlagwörter der Kaufhäuser in den Niederungen der SB-Märkte an.
Dieser Service aber hat einen anderen Hintersinn: Am Eingang gibt es kostenlose Luftballons für die Kleinen. Mehr als eine nette Geste. Die Kunden, erklärt Nikolai, sollen nicht die metallic-grünen Helium-Ballons klauen, die den neugeordneten Herren-Mode-Bereich markieren. „Die kosten nämlich zwei Mark das Stück.“
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