Die Ära relativer Stabilität in Italien hat ein vorläufiges Ende gefunden. Fausto Bertinotti, der Chef der Neokommunisten, entzog aus tiefer Verunsicherung über den eigenen Kurs dem Mitte-links-Bündnis unter Romano Prodi seine Unterstützung Aus Rom Werner Raith

Der Pyrrhussieg des Königsmörders

Leicht haben es Fausto Bertinotti und seine Getreuen derzeit wirklich nicht: Wo immer sie auftauchen, ob zu Fuß oder im Dienstwagen – kurze Augenblicke der Aufmunterung, „Vorwärts Fausto“ oder „Richtig, hau den Prodi in den Sack“, wechseln sich seit dem von Bertinotti verursachten Sturz der Links-Regierung mit regelrechten Spießrutenläufen ab. Das Volk, jedenfalls das romnahe, sieht die Abwahl Prodis wohl eher negativ; und bis die Genossen aus der Provinz herangekarrt werden (an die hundert Busse soll die Parteileitung geordert haben, um Stimmung für den Chef zu machen), haben eben die Gegner die überhand.

Bertinotti, sonst ein selbstsicherer, im Fernsehen zu wahren Alleinunterhalterqualitäten auflaufender Moderatorenliebling, zeigt zum ersten Mal schwere Zeichen von Unsicherheit: Er hat Mühe zu erklären, was er denn genau will. Daß er nun in der Opposition steht, hat er ausdrücklich erklärt, und für die Fans der Rifondazione comunista ist das ja kein Novum: Schließlich war man seit Kriegsende immer in der Opposition, bis 1996, fünf Jahre nach dem Zerfall der Kommunistischen Partei Italiens in Linksdemokraten und Neokommunisten, die Wähler plötzlich ein Mandat nach links vergaben und man wohl oder übel in die Koalition mußte.

Ganz wohl war Bertinotti und seinem Verein von Anfang an nicht, und so trat denn auch keiner aus der Partei ins Kabinett ein, wiewohl man einen Koalitionsvertrag schloß. Angst vorm Aufgeriebenwerden in einer Umarmung mit den „moderaten Kräften“ mußte man so nicht haben – man war gleichermaßen draußen wie drinnen, und für ganz links gibt es in Italien immer genug Stimmen.

Doch schon bald merkte man Bertinotti an, daß ihm das Drinnen immer weniger behagte. Aber inzwischen hatte, zu seinem Verdruß, ein ansehnlicher Teil seiner Neokommunisten, allen voran die Abgeordneten selbst, eine nicht unerhebliche Freude am Mitregieren gewonnen – er sah seine Manövrierfähigkeit eingeschränkt, wenn Parteigründer und -präsident Armando Cossutta ihn zunächst sanft, dann eindringlicher und schließlich ultimativ mit Sprüchen „Wir müssen immer daran denken, die Macht nicht zu verlieren“ nervte. So artete die Frage der Koalitionsdisziplin allmählich auch in einen internen Machtkampf aus – und nicht wenige Kommentatoren vermuten, daß dies über alle politischen Fragen hinaus am Ende den Entschluß eines Austritts aus der Regierungsallianz gab. Was auch tatsächlich nicht von der Hand zu weisen ist: Romano Prodi hatte im Vorfeld Bertinotti nahezu in allen Fragen Entgegenkommen gezeigt, umgekehrt hatte Bertinotti umgekehrt sich gar nicht imstande gezeigt, wirklich gängige, realisierbare Alternativen zum Haushaltsentwurf vorzulegen.

So entstand der Anschein, daß Bertinotti den Bruch seit langem wollte, komme, was da wolle. Er fühlt sich in der Opposition freier (und vielleicht auch nicht mehr erpreßt von obskuren Geldgebern, die ihm vor zwei Jahren umgerechnet zehn Millionen Mark zum Ausbau seiner Parteipostille Liberazione zur Tageszeitung geschenkt hatten).

Womit sich natürlich die Frage stellt, die auch jene nicht mehr schlafen läßt, die Bertinottis Bruch mit Prodi durchaus richtig finden: Wie geht es weiter auf der äußersten Linken? Daß Armando Cossutta nun, rundum glücklich ohne Bertinotti, eine neue Formation gründen kann, die den uralten Namen Kommunistische Partei Italiens tragen kann (allerdings ohne Hammer und Sichel, aber mit einer gereckten Faust im Emblem), heißt noch nicht, daß die Rifondazione zu viele Stimmen verliert, um die Vierprozentklausel zu überwinden: Die Sehnsucht nach „Links = Opposition“ ist sicher beim harten Kern der Rifondazione-Wähler stark ausgeprägt.

Viel schwerer könnte wiegen, daß Fausto Bertinotti nun einen Großteil der kritischen Intelligenz, die ihn unterstützt hatte, verlieren könnte – Wissenschaftler, Künstler, Schritsteller, Sportler, die seine Ideologie für sinnvoll, den Machterhalt aber nach fünf Jahrzehnten konservativer Herrschaft für noch wichtiger halten. Dann wäre Bertinottis Königsmord wirklich zum Pyrrhussieg geworden.