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"Dann fressen wir uns"

■ Kokeleien eines preisgekrönten Nachwuchses: An den Münchner Kammerspielen brachte Jan Bosse Marius von Mayenburgs Inzest- und Elternmörderdrama "Feuergesicht" zur Uraufführung

Das Schönste an der Jugend ist der Aufruhr – und das Schrecklichste auch. Marius von Mayenburg weiß das fast noch aus nächster Nähe. Er ist 26 Jahre alt und hat das Gesicht des netten Jungen von nebenan, der nur zu selten an die frische Luft kommt. Doch hinter seiner glatten, blassen Stirn wabert es monströs und spukt und will hinaus. So heißen denn die Auswürfe seiner Dramatikerphantasie auch „Monsterdämmerung“, „Psychopathen“ oder eben „Feuergesicht“, das am Samstag an den Münchner Kammerspielen uraufgeführt wurde.

Ein Feuergesicht, so jedenfalls sieht es der Uraufführungsregisseur Jan Bosse, ist knautsch- freundlich oder grau und matschig und sitzt auf einem schlaksigen Körper, der ihm ebenso fremd ist wie seinen Augen die Welt, in die sie sehen. Mit metallisch-heller Stimme und traurig-pikiertem Blick spielt Jens Harzer den Brandstifter und Elternmörder Kurt als einen Typen, den selbst eine Bombe treffen müßte, damit sich etwas regte.

„Wir müssen brennen und uns verschleudern. Ich will mich an dir zerpulvern“, raunt er seiner Geliebten-Schwester Olga zu. Doch da hat einer so wenig Feuer, daß er selbst die Worte, die er im Munde führt, vermodern läßt. Wenn sie aus ihm herauspurzeln, sind sie längst tot und klingen seltsam falsch. Und eben weil Kurts Leben Mangel ist, hat er nicht nur ein verkokeltes Gesicht, sondern auch Gesichte – eine Vision vom Feuer und dessen verwandelnder Kraft.

Angeödet von der elterlichen Zwangsgemeinschaft zwischen Eßtisch, Skandalblatt und blutbeschmierten Badfliesen, sehnt sich Kurt danach, „einzeln zu werden“. Doch Abgrenzung ist nur so lange eine gute Sache, wie man auf der anderen Seite jemanden oder etwas hat, dem man sich anschließen kann. Kurt hat Olga (Anna Schudt), die mächtig ist durch ihre Sexualität, und Olga hat Kurt, der ein Mittel gegen ihre Auflösungsängste, ihre Regression zum „Schleimwesen“, beherrscht: Denn vor allem anderen hat Kurt das Feuer.

Der Wahl-Berliner Mayenburg gehört mit Thomas Jonigk, Simone Schneider und Daniel Call zur Autorengruppe „Theater neuen Typs“ und steckt auch mit Thomas Ostermeier unter der Baracken- Decke. Daher wohl der Hang zur sozialen Realität, der Drang zum well-made play, in dem sich eins aus dem anderen flott ergibt – auch die Düstermalerei. Doch das Besondere an dem Stück, für das der gebürtige Münchner den Kleist- Förderpreis für junge Dramatiker und den Preis der Frankfurter Autorenstiftung erhalten hat, liegt woanders: Hier erwächst das Monströse dem Heimisch-Vertrauten, dem man so lange gerne folgt, bis man sich am Ende an der geschlossenen Tür gemeinschaftlich den Schädel zerdeppert. Denn anders als die Pubertät der meisten hat diese keinen Notausgang. Und das, obwohl die Eltern so übel gar nicht sind und die inzestuöse Nähe zwischen den Geschwistern zuweilen eigenartig rührt.

Gerade dieser Sympathievorschuß jedoch ist auf dem Weg zur Bühne abhanden gekommen. Hier sind alle von Anfang an irgendwie daneben und die Kinder ganz klar der Sproß ihrer Eltern. In Klamotten von mustergültiger Geschmacklosigkeit besteht die Familie aus bunten, schnatternden Clowns mit einem traurigem Pierrot in ihrer Mitte. Die Leerstellen und harten Brüche zwischen den Kurz- und Kürzestszenen sind mit Regieeinfällen zugekleistert. Statt Rhythmik und Kontraste auszukosten, werden Textpassagen überlappt, und Gesten bekommen ein Echo. Anstatt Sensibilitäten offenzulegen, wird Comicsprache draufgepflastert – und zum gemeinsamen Brennen und Morden treten Kurt und Olga im Halbkörper-Hasenkostüm an.

Jan Bosse, der bei den diesjährigen Wiener Festwochen mit seiner Inszenierung von Mayenburgs „Psychopathen“ den Luc-Bondy- Regiewettbewerb für sich entscheiden konnte, hat dem „Feuergesicht“ mit seinen Zwischentönen einiges an Brisanz geraubt. Wenn alle so tumb sind, wen juckt dann das böse Ende?

Andererseits: Als Auftakt einer Versuchsreihe der Münchner Kammerspiele, Regieanfänger mit aktuellen Theatertexten kurzzuschließen, kann sich die Arbeit sehen lassen. Sie setzt klare Akzente, macht aus einem im Text noch zart anmutenden Beginn – Kurt: „Ich kann mich an meine Geburt erinnern.“ – schon eine böse Verheißung und entlarvt die Geschwistersolidarität sehr schnell (zu schnell?) als Bastion, die nur hält, weil das Draußen noch schlimmer ist. Nach dem Tod der Eltern geht es „nicht mehr lange. Dann fressen wir uns.“ (Olga)

Da läßt sich Olga schon lieber von Freund Paul entführen und lügt dafür den Bruder in den Tod, der sich mit einem absurden Tanz von den Schlüsselgesten seiner sozialen Laufbahn verabschiedet. Ein hektisches Flattern, zu dem man sich irgendwie stellen muß. Dann wirft Kurt ein letztes Mal die Flammen an: Wirklich „einzeln“ wird man nur im Tod. Sabine Leucht

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