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: Mit Dürrenmatt auf dem Zauberberg

■ Als Länderschwerpunkt präsentiert sich die Schweiz in einer Heldenhalle der Literatur

Am Wochenende ist es höchste Zeit zu fliehen. Dann kommen die Zehntausendschaften der Rucksackträger, die die Messe als Massenexpedition begreifen. Systematisch durchkämmen sie die Hallen, damit ihnen kein kostenloses Druckerzeugnis entgehe. Fröhlich wenden sie sich nach rechts, nach links, und jedesmal hüpft ihr praller Rucksack lustig mit und füllt den Raum zwischen den Ständen wie eine massive Bahnschranke. Nebenan, vom Trikont-Stand, erklingt nun, nach stundenlangem, meditativen Heja-heja-he-Genudel aggressives Geflöte, das jeden wohlmeinenden Menschen in die Flucht schlagen muß. Aber man ist ja schon froh, solange es kein Walgesang ist.

Luftiger und leiser ist es in der Schweiz-Halle, die man über einen roten Teppich erreicht. Die Schweiz liegt, so verspricht ein großes Transparent, „gleich nebenan“. Daß sie Thema der Buchmesse ist, merkt man allerdings nur hier, aber auch da interessiert es nicht wirklich. Wo die 140 Schweizer Autorinnen und Autoren der vier Schweizer Sprachregionen abgeblieben sind, ist ein Rätsel. Doch was ist von einem Land schon zu erwarten, das Mülleimer als „Güselchübel“ bezeichnet und Wein als „Oktobertee“? Diese und andere Fragwürdigkeiten lassen sich in einem netten kleinen Schweizerdeutschwörterbuch vom Haffmans Verlag studieren, das aussieht wie eine Identitätskarte: rot mit weißem Kreuz. „Hopp Schwiiz!“ (schweizerischer Anfeuerungsruf).

In der Schweizhalle liegen auf langen Tischen endlose Reihen monoton grau eingebundener Bücher. Alle aus Graubünden? Oder gar aus der DDR? Es riecht auch seltsam DDR-haft nach 40jährigem Putzmittelextrakt und Muff. Ein bißchen auch nach Pfefferminztee. Ist das vielleicht der spezifische Geruch kleiner Länder, die sich vergeblich aufplustern? Rote und schwarze Vorhänge hängen von der Hallendecke, um den Raum in kleinere Einheiten zu teilen, und verleihen ihm so eine sakrale Atmosphäre. Hinter dem nächsten Vorhang könnte, von Schweizer Priestern geputzt, die Bundeslade stehen.

Tatsächlich kommt man in einen dunklen Raum, der multimedial mit Lichtbildern und sphärischen Klängen bespielt wird. Auf einem großen Sternenhimmel gehen die Dichter als Sternbilder auf und unter: Keller, Frisch, Dürrenmatt, Nabokov, Thomas Mann, James Joyce, Nietzsche, Bakunin, Hugo Ball – eine Versammlung aller Herren, die es eine Weile auf irgendeinem Zauberberg ausgehalten haben. Das gefällt den Kindern. Doch wo ist Lenin? Nicht im Himmel? Wo dann?

In Halle acht, bei den „international Publishers“, geht es sehr geschäftig zu. Hier sind die Geschäfte sichtbar. Die Stände sind ungleich größer und vornehmer als im deutschsprachigen Bereich. Im Simon & Schuster-Stand könnte man Suhrkamp locker fünf Mal unterbringen. Massiv wie eine richtige Buchhandlung wirkt das hier. Die Bücher in den Regalen übertrumpfen sich mit grellen Umschlägen und dieser typischen US-Vorliebe für Gold-Präge-Buchstaben, die sich den Käufern regelrecht entgegenwölben. Hier stehen die Bücher, die in einem Jahr bei den deutschen Verlagen stehen werden: Schon der nächste neue John Updike: „Bech at Bay“ bei Knopf etwa, oder Neues von Nicholson Baker: „The Everlasting Story of Nory“ – die Welt aus der Perspektive eines neunjährigen Mädchens geschildert.

Die Innenräume der Verlagsstände sind mit kleinen Tischen vollgestellt. An jedem sitzen zwei Menschen, die Papiere mit Zahlen vollschreiben. Knallharte Verhandler. Die Frage ist nur noch, welcher Titel in welchem deutschen Verlag erscheint, und wer dann noch nicht zu Bertelsmann gehört, denn die Aufkaufgerüchte nehmen kein Ende. Noch gibt es sie ja, die Bücher, auch wenn Bertelsmann bereits das elektronische Buch vorstellt, mit dem man online Zugang zu einer elektronischen Bibliothek haben wird.

Bei libri ist ein neues Serviceangebot in der Erprobung: „Books on demand“ – Bücher bei Bedarf. Verlage liefern dem Grossisten nur noch eine Diskette, so daß, wenn eine Bestellung des Buchhandels vorliegt, das Buch erst dann ausgedruckt und kartoniert wird. Das erspart Lagerkosten, das Risiko zu hoher Auflagen oder vergriffener Bücher. Die Frage ist allerdings, warum man den Umweg über den Buchhandel dann überhaupt noch braucht. Einfacher wäre es doch, den Ausdruck zu Hause gleich selbst vorzunehmen. Oder eben auf das „elektronische Buch“ zurückzugreifen. Die Haptiker unter den Lesern werden davon allerdings kaum begeistert sein. Jörg Magenau