Alter Bundestag soll über Kosovo-Einsatz entscheiden

■ Freitag wird abgestimmt: Rot-Grün schiebt den nötigen Beschluß über eine deutsche Beteiligung an der militärischen Intervention auf das schon abgewählte Parlament ab – im Konsens mit der Kohl-Regierung. Präsident Milošević will angeblich einlenken

Belgrad/Bonn (taz/AP/dpa) – Der Westen hat gestern seine Vorbereitungen für ein Nato-Eingreifen in der Kosovo-Krise intensiviert. Die Bundesregierung hat der zu einem Einsatz erforderlichen „activation order“ ihre Zustimmung erteilt. Der Bundestag kommt am Freitag zu einer Sondersitzung zusammen, um die Beteiligung deutscher Truppen zu genehmigen.

Die Nato zog weitere Streitkräfte zusammen. Der US-Sonderbeauftragte Richard Holbrooke beendete gestern nachmittag seine Verhandlungen mit dem jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milošević. Weder Milošević noch Holbrooke gaben eine Erklärung zum Stand ihres Verhandlungsmarathons ab, der fast eine Woche gedauert hatte.

Der russische Verteidigungsminister Igor Sergejew sagte der Agentur Interfax, Milošević habe der Stationierung einer Beobachtertruppe von 1.500 Mann im Kosovo zugestimmt. Sie soll die Einhaltung aller UN-Forderungen überwachen. Milošević hatte sich offenbar bis zuletzt gegen die Entsendung dieser Truppe gewehrt. Holbrooke wurde gestern am Abend in der belgischen Hauptstadt erwartet. Dort sollte er den Nato-Generalsekretär Solana unterrichten, anschließend wollte der Nato-Rat zusammentreten.

Dem Vernehmen nach hat die amerikanische Regierung auf eine schnelle Entscheidung für eine Beteiligung der deutschen Tornado-Kampfflugzeuge gedrängt. Nicht nur der amtierende Kanzler Helmut Kohl, sondern auch sein designierter Nachfolger Schröder sollen gestern einen entsprechenden Anruf Clintons erhalten haben. Damit hat Clinton eine andere Haltung eingenommen als am letzten Freitag gegenüber Schröder und dem voraussichtlichen Außenminister Fischer. Seinerzeit zeigte er noch Verständnis dafür, daß die Regierung einem Einsatz zwar zustimmen, über eine deutsche Beteiligung jedoch erst nach der Konstituierung des neuen Parlaments entscheiden wollte.

Wie Sprecher von SPD und CDU erklärten, gehe man bei der Abstimmung am Freitag davon aus, daß der Bundestag in seiner alten Zusammensetzung, mit der Mehrheit von CDU/CSU und FDP, beschlußfähig sei. Absprachen darüber, ob dabei den neuen politischen Mehrheiten Rechnung getragen werde, gebe es nicht. Weder bei SPD noch bei den Grünen stieß das auf Widerspruch.

Sowohl die SPD als auch die Bündnisgrünen wollen die Abstimmung am Freitag in ihren Fraktionen freigeben. Das teilte Gerhard Schröder gestern nach der fünften Runde der rot-grünen Koalitionsverhandlungen mit. Fischer sprach von einer „sehr schwierigen Entscheidung“, bei der es das Pro und Contra abzuwägen gelte. Da bereits eine Reihe von Grünen- Abgeordneten sich gegen einen Kosovo- Einsatz ohne UN-Mandat ausgesprochen hat, ist mit einem Abstimmungsverhalten zu rechnen, das nicht einheitlich ist oder auf Enthaltung lautet. Die deutsche Botschaft in Belgrad wurde unterdessen vorübergehend geschlossen. dr

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