: Nicht unsere Tasse Tee
■ „Aber wirklich“: Die Gruppe Lubricat erzählt von echten Kreuzberger WG-Pflanzen
„Guten Abend, mein Name ist Miriam, ich bin Ende 30, aber das ist kein Problem, im Gegenteil.“ Im Gegenteil? Im Gegenteil. Armin dagegen ist 42, liebt Kinder, große Wohnungen und asiatische Küche. Ingrid hat gerade „so'n Spannen in der Brust“, und Judica mag es, „wenn die Dinge laufen“.
Und dann glucken Miriam, Armin, Ingrid und Judica zusammen auf Höckerchen auf einem Teppich, reden über ihre Affären und darüber, wen sie nicht leiden können. Dazu bewegen sie sanft ihre Hände und Hüften, treiben kleinere gymnastische Übungen und reiben sich die Knie. Schwimmende Bewegungen, die das quackernde Vierergrüppchen auf dem blauen Teppich aussehen läßt wie einsame Enten auf dem Teich des Alltagsklatsches.
Es ist amüsant: Was Leben war, wird Wort
Ein Stück über „uns“ hat der Regisseur Dirk Cieslak mit seiner Gruppe Lubricat gemacht. Über Kreuzberger WG-Pflanzen mit Selbsterfahrung, die, sobald sie 40 sind, nur noch eins wollen: nach Charlottenburg. Der Text zu „Aber wirklich“ ist Gesprächen abgelauscht, die der Künstler Piotr Nathan mit seinen Modellen führte und auf Tonband aufzeichnete, während er sie porträtierte. Der blaue Teppich ist ein Grundriß von Nathans Atelier. In roter Schrift sind an den entsprechenden Stellen die Gegenstände bezeichnet, die sich in diesem Atlier befinden. Was Leben war, wird Wort, und Miriam Fiordeponti, Armin Dallapiccola, Ingrid-Maria Sauer aund Judica Albrecht tun ihr Bestes, um den unablässigen Wortstrom in vier biographische Skizzen zu kanalisieren.
Es ist amüsant. Es ist auch elegant und weist formschön auf die Wirklichkeit hin. Dann aber will es plötzlich die Untiefe des Ganzen gar zu absichtsvoll betonen, wenn drei der vier Darsteller sich für einen Moment diskret, aber deutlich entfernen, weil die vierte ganz nebenbei erzählt, daß sie Aids hat.
Auch haben die Lubricat-Leute letztlich eben doch nicht den Mut, ihr Szeneporträt so scharf zu zeichnen, daß es sie selbst beträfe. Miriam, Armin, Ingrid und Judica geben den Konstrukten ihre Namen, trauen sich aber nicht, als Persönlichkeiten hinzutreten und etwas von sich preiszugeben. So bleibt es in dieser einstündigen Vorstellung bei einer angeschafften Privatheit, auf die man im Publikum entsprechend reagiert: Ja, solche Leute kenne ich, aber mit mir hat das wenig zu tun. Petra Kohse
„Aber wirklich“. Ein Stück von Dirk Cieslak. Nächste Aufführungen: heute bis zum 18. Oktober,jeweils 20 Uhr, Sophiensäle, Sophienstraße 18
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