Kurbelkicker mit Kondomen

Fußball manuell: 200 Sachen aus dem Handgelenk sind beim Tischfußball, volkstümlich „Kickern“, für Cracks wie Europameister Ulrich Stoepel aus Griesheim kein Problem  ■ Von Thomas Herget

Nach einer Werbeunterbrechung sehen wir, wie es sich so lebt im Hause Stoepel: Mit den über 300 Pokalen etwa, die Ehefrau Christina aus Platzgründen zu Blumenübertöpfen umfunktionieren will. Oder mit dem süßen Kätzchen, das ihr Mann vor 14 Jahren total verwahrlost aus dem Kellerloch einer Kaserne befreit hat und bei sich daheim großzog. Denn der Sympathieträger, auch darüber läßt uns der Sender nicht im unklaren, ist nicht bloß ein großer Taschenspieler vor dem Herrn, sondern auch ein netter Kerl.

Uli Stoepel drückt auf die Pause-Taste seines Videorecorders, der ihm in schöner Regelmäßigkeit die Vergangenheit zurückspult, und greift zu dem dicken Album mit Fotos und Presseberichten, das eine beeindruckende Karriere dokumentiert: Mit sechs Europameister- und vier deutschen Meistertiteln ist der Gas- und Wasserinstallateur aus Griesheim bei Darmstadt der erfolgreichste Fußballer der Welt – am Tisch. Überall, wo zinkoxidbestäubte Bälle herumklackern und elf Plastikwichte auf Stahlstangen rotieren, hat der Mann seine Hände im Spiel – und meist gewinnt er. Sicher, erzählt er, es gäbe da noch diesen Ami. Der sei zwar Weltmeister, aber hier in Europa ohne Chance, weil er einen anderen Tisch gewohnt sei. Tischfußball, weiß Stoepel, das ist viel Physik und ein bißchen wie beim Boxen: Jeder Verband hat seinen eigenen Champ.

Leibhaftig habe auch er irgendwann gegen Bälle getreten, beim Ex-Erstligisten Darmstadt 98 (heute 4. Liga). Als Jugendlicher verletzte er sich am Knie. Dann kamen, Stoepel war 14, Jugendclubs und die Kneipen mit dieser dicken Luft, bierschwanger und rauchverhangen. In den Staaten wurden damals schon Titel und Preisgelder ausgespielt. In Deutschland gibt es Championate und Turnierserien seit 1981. Die Arbeitsplatte, stets exakt waagerecht justiert, ist nach dem Hersteller benannt, der nebenbei auch noch alle Dart-Turniere abwickelt. So kommt es, daß sich Athleten beider Sportarten zu Tausenden in Messehallen reiben, in denen es dröhnt wie im Bierzelt und riecht wie bei Kaninchenzüchtern. Bis zu sechs Stunden, erzählt Stoepel, steht man da am Tisch und „denkt anschließend nur noch ans Bett“. Böse Verletzungen seien selten, Krämpfe an Händen und Unterarmen dagegen an der Tagesordnung. Das Training hat er auf sechs Wochenstunden reduziert – in einer Gastwirtschaft, „zu Hause wäre das zu laut, da fliegt doch der Nachbar aus dem Bett.“

Wenn der Südhesse mit seiner Fototasche voll griffiger Golfhandschuhe (bis zu 30 Stück verschwitzt er pro Turniertag), unbenutzter Kondome für die Griffe und einer Dose Möbelpolitur („damit die Stange besser läuft“) durch die große Welt seiner kleinen Stehaufmännchen zieht, dann treibt ihn der Spaß und nicht das mickrige Preisgeld, das ohnehin meist nur Anfahrt und Übernachtung deckt. Dabei gehört Amateur Stoepel zu den Besserverdienenden der Branche: „80 Prozent aller Tischfußballer legen drauf.“ Bescheidene 530 Mark im Schnitt habe jedes seiner 15 Turniere im vergangenen Jahr abgeworfen. So nimmt er dankend an, wenn er den Ball mal wieder im Vorabendprogramm von Pro 7 oder RTL hochhalten kann: „Vielleicht schaut ein Sponsor zu und läßt ein paar Leibchen springen.“

Der einstige Breitensport ist dem schummrigen Dunstkreis halbstarker Macker und Biertrinker längst entwichen. Könner wie Stoepel verlieren bis zu sechs Liter Flüssigkeit pro Turnierrunde. Neben knallharten Torschüssen mit Ballgeschwindigkeiten über 200 km/h verfügen die Kurbelkicker über technomotorische Fähigkeiten fast wie die Fuß-Fußballer in der Bundesliga.

Mächtig gedribbelt wird auch im Tischfußball. Meist werden die Bälle aus der Verteidigung übers 5er-Mittelfeld in die 3er-Sturmreihe gepaßt, wobei das aggressive Vorchecking der gegnerischen Mannschaft das Herz eines jeden Bundesligatrainers höher schlagen ließe. Die Abwehrkette arbeitet, baubedingt, hochmodern immer auf einer Linie. In den vier deutschen Ligen müssen die Aktiven bei einem guten Dutzend Turnieren Punkte sammeln, die über Titel, Auf- und Abstieg entscheiden. Hinzu kommen Deutsche Meisterschaften und EM, jeweils im Doppel und Einzel. Die Regeln sind standardisiert: Wer zuerst fünf Tore schießt, hat gewonnen. Wenn vor Ablauf der Höchstspielzeit von 55 Minuten keine Entscheidung gefallen ist, entscheidet – Bierhoff läßt grüßen – das Golden Goal.

So armhart die Konkurrenz, so abgebrüht mutet auch der Griff in die Trickkiste der Handarbeiter an. Gerade die erfolgsgewohnten Belgier, weiß Stoepel, seien spezialisiert auf „Fouls“: auf das Anheben oder Verrücken des Tisches, überhartes Anschlagen der Stangen oder Zeitspiel. Jawohl, Zeitspiel: Das Überschreiten des Zeitlimits für Ballbesitz, das von der Spielerreihe (3er oder 5er) abhängt, ist auch der häufigste Grund für das Eingreifen der Referees. Angesichts solch subtiler Feinheiten psychologischer Spielführung wirkt Stoepels taktische Lehrformel rührend schlicht: „Flach spielen, hoch gewinnen.“