Itas Tod erschüttert Indonesien

■ Die Polizeiversion über die Ermordung einer jungen Frau läßt Zweifel an der Aufarbeitung der Unruhen vom Mai aufkommen

Bangkok (taz) – Der Mord an einer 17jährigen Schülerin in Jakarta erschüttert derzeit die indonesische Öffentlichkeit: War es ein einfaches Verbrechen, wie die Polizei behauptet? Oder handelt es sich um eine grausame Warnung gegen Regierungskritiker, wie MenschenrechtlerInnen befürchten? Für die indonesischen Behörden schien der Fall schnell gelöst: Kurz nachdem die 17jährige Schülerin Martadinata „Ita“ Hariyono am letzten Freitag ermordet in ihrem Schlafzimmer aufgefunden wurde, verhaftete die Polizei den mutmaßlichen Täter – einen Nachbarn. In der Wohnung des Mannes seien blutbefleckte Kleider Itas gefunden worden, hieß es. Das Motiv für den Mord: Ita habe den 22jährigen bei einem Einbruch überrascht, worauf er sie mit zahlreichen Messerstichen in Hals, Brust und Bauch tötete.

Doch viele Indonesier glauben diese Erklärung nicht. Denn Ita und ihre Mutter waren im „Freiwilligenteam für Menschlichkeit“ des Jesuitenpaters Sandyarwan aktiv, das sich besonders für die Opfer der Massenvergewaltigungen während der Unruhen vom Frühjahr einsetzt. Als im Mai die Proteste gegen die Herrschaft von Präsident Suharto explodierten und in Jakarta ganze Straßenzüge in Flammen aufgingen, sollen gezielt Frauen der chinesischen Minderheit vergewaltigt worden sein.

Mindestens 168 Fälle dokumentierte das „Freiwilligenteam“, das damals die Öffentlichkeit alarmierte und eine unabhängige Untersuchung forderte. Pater Sandyarwan und seine MitarbeiterInnen argwöhnten, dunkle Kräfte im Militär oder Polizei steckten hinter den systematischen Angriffen auf die chinesische Minderheit. Seitdem haben Unbekannte das „Freiwilligenteam“, zu dem auch die bekannte Astronomin und Bürgerrechtlerin Karlina Leksono gehört, immer wieder bedroht – mit obszönen Telefonanrufen, Morddrohungen und sogar einer Handgranate, die vor ihrem Büro plaziert wurde. Erst wenige Tage vor dem Mord an Ita, die selbst Chinesin war, hatte die Gruppe vor Journalisten über die Einschüchterungskampagne gesprochen. „Der Mörder wollte uns eine Botschaft senden – daß sie wirklich töten würden“, glaubt Karlina Leksono heute.

Vieles an dem Fall ist unklar: ob die Schülerin im Mai zum Beispiel ebenfalls vergewaltigt worden ist, wie das „Freiwilligenteam“ zunächst erklärte. Itas Schwester bestritt dies am Montag vor der Presse und verneinte zudem Berichte, wonach das Mädchen sich um andere Opfer der Vergewaltigungen gekümmert habe.

Doch es verwundert kaum, daß die Erklärungen der Polizei auf große Skepsis stoßen – auch wenn der mutmaßliche Täter am Montag vor Journalisten den Mord gestand und erklärte, er habe danach auf die Tote masturbiert. In der Vergangenheit fiel es der Polizei nie schwer „Geständnisse“ vorzulegen, die sich später als erzwungen herausstellten. Außerdem haben die Regierung und die Chefs von Polizei und Armee immer wieder geleugnet, daß es Massenvergewaltigungen gab – im Gegensatz zur nationalen Menschenrechtskommission, die eine Untersuchungskommission gebildet hat.

Erst kürzlich drohte ein Polizeisprecher, jeden vor Gericht zu bringen, der die Behörden beschuldigt, die Aufklärung der Vergewaltigungen zu behindern. Chinesische Gemeinden in anderen Ländern hatten empört auf die Gewalt reagiert und die Regierung von Präsident Habibie aufgefordert, die Umstände aufzuklären und die Minderheit zu schützen. Für diejenigen Kräfte in Armee und Politik, die in den Chinesen einen geeigneten Sündenbock für die politische und wirtschaftliche Misere des Landes sehen, ist dies Wasser auf die Mühlen. Sie stellen sich als patriotische Verteidiger dar eines wahren, muslimischen Indonesiens gegenüber dem feindlichen Ausland und den damit verbündeten Chinesen. Jutta Lietsch