„Es sind einfach zu viele Leute bei uns in Trauer“

■ Bei dem albanischen Verein „Bajram Curri“ sind alle Feste abgesagt. Dennoch versammeln sich allabendlich Kosovo-Albaner in den Clubräumen, um die Auslandsnachrichten von „TV Albanien“ zu sehen

„Milošević glaube ich überhaupt nichts“, sagt der smarte Mittvierziger. Die anderen Männer am Tisch nicken. Etwa 50 Kosovo-Albaner haben sich, wie jeden Abend um halb sieben, in der Neuköllner Fabriketage versammelt, um die Auslandsnachrichten von „TV Albanien“ zu sehen. Heute erfahren sie, daß der jugoslawische Präsident angesichts des Nato-Ultimatums eingelenkt und versprochen hat, seine Truppen aus dem Kosovo abzuziehen. „Milošević lügt immer“, sagt ein Zwanzigjähriger in Lederjacke. „Und wir wollen die Unabhängigkeit, keine Autonomie. Sonst gibt es wieder Krieg.“

Die Zeit der Feiern ist bei Bajram Curri, der 1981 gegründeten albanischen Kulturorganisation, vorbei. Es wird nicht mehr gesungen wie am Unabhängigkeitstag der Kosovo-Albaner, am 2. Juli 1990. Es wird nicht mehr getanzt seit dem Beginn der bewaffneten Kämpfe im März 1998. „Wir haben auf einer Versammlung beschlossen, daß Bajram Curri nicht feiert, solange die serbische Aggression weitergeht“, erzählt Sali Sefa, der Vorsitzende des Vereins. „Es sind einfach zu viele Leute bei uns in Trauer.“ Seitdem, sagt Sefa, gehe es nur noch um Hilfe für die Flüchtlinge, um Medikamente, Lebensmittel und Kleidung. Die Spenden, die der Verein dafür bekommt, stammen fast ausschließlich von den „eigenen Leuten“.

Und Unterstützung für die UCK? Hier klaffen die offizielle Linie des Vereins und die Stimmung deutlich auseinander. Sefa selbst sieht in den bewaffneten Kämpfern „unsere einzige Hoffnung“, betont aber, Bajram Curri leiste ausschließlich humanitäre Hilfe. Auch der Verfassungsschutz hat bislang keinen Grund zum Handeln gesehen: Im Gegensatz zur bundesweiten „Demokratischen Vereinigung der Albaner in Deutschland“ werden die albanischen Organisationen in Berlin nicht beobachtet.

So versteht sich Bajram Curri als „Dach“ aller albanischen Gruppierungen in Berlin, unabhängig von der Spaltung in Anhänger des gemäßigten Präsidenten Rugova und der UCK.

Ob der Verein diesem Anspruch immer gerecht wird, ist eine andere Frage. Sefa gibt die Mitgliederzahl von Bajram Curri mit „etwa 2.000“ an, sagt jedoch, daß hierüber nicht Buch geführt wird. Hört man sich um, stößt man auch auf Albaner, die nichts mit Bajram Curri zu tun haben wollen – und panische Angst davor haben, etwa als „serbischer Spion“ verunglimpft zu werden. Peter Schubert, Albanienspezialist vom Verband für Internationale Politik und Völkerrecht, erklärt dies so: „Wenn mehrere Albaner zusammenkommen, gibt es einen kollektiven Druck zum Patriotischen. Dann will keiner ausscheren.“

Noch größer ist das Mißtrauen der Kosovo-Albaner gegenüber anderen Gruppen. Als im Frühjahr die Deutsch-Albanische Gesellschaft, zu deren Mitgliedern vor allem Deutsche zählen, den Verein zu einem Treffen einlud, erschienen gerade mal zehn Albaner. Und auch Kontakte zu anderen Vereinen von Ex-Jugoslawen sind eher selten. Beim Verein „Südosteuropa Kultur e.V.“, der sich vor allem um Bosnien und bosnische Flüchtlinge kümmert, sagt es ein Mitarbeiter so: „Wir haben eigentlich dieselben Probleme. Aber sonst ist alles anders.“

Dabei gab es zwischen 1991 und 1995, so lange wie der Krieg in Kroatien und Bosnien-Herzegowina dauerte, auch gemeinsame Demonstrationen der Berliner Kosovo-Albaner mit anderen von Milošević geschädigten (Ex-)Jugoslawen. Doch das ist vorbei. „Die Kroaten wollen jetzt ihre Ruhe nach dem Krieg im eigenen Land“, sagt Petar Penić, Mitglied einer kroatischen Studentenvereinigung an der FU Berlin. So sind und waren die Albaner isoliert – nicht nur im früheren und im heutigen Jugoslawien, sondern auch in der Emigration.

Abends um halb neun wird der Fernseher bei Bajram Curri wieder ausgeschaltet. Die Nachrichtenzeit ist vorbei. Die großen Versprechungen haben keine großen Hoffnungen hinterlassen, und die meisten sind müde. Sie brechen bald nach Hause auf. Denn für sie beginnt der Tag früh, an dem sie wieder Geld für den Kosovo und für sich selbst erarbeiten müssen. Klaus Buchenau