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Völlig fremde Menschen Von Barbara Häusler

Für A.

Die größte Unberechenbarkeit des modernen erwachsenen Berufslebens besteht darin, daß man nie wissen kann, wohin es einen schließlich verschlägt. Meinen langjährigen Mitbewohner zum Beispiel katapultierte es Anfang des Jahres nach Dresden. Das ist an sich noch keine Katastrophe, Dresden ist schön: Elbe, Blaues Wunder, Weinberge. Und es hatte zur Folge, daß ich über unsere Dreizimmeraltbauwohnung nun alleine verfügen konnte. Die zweitgrößte Unberechenbarkeit des modernen erwachsenen Berufslebens besteht allerdings darin, daß man nie wissen kann, wieviel man schließlich verdient. Ich zum Beispiel bekomme keineswegs das Geld, das mir eigentlich zusteht. Und das ist nun sehr wohl eine Katastrophe, denn es hat zur Folge, daß ich mir unsere Dreizimmeraltbauwohnung alleine gar nicht leisten kann. Und so kommen wir zur Unberechenbarkeit des Lebens überhaupt: Ganz plötzlich muß ein völlig fremder Mensch ins Haus.

Ein fremder Mensch kann ja durchaus was Interessantes sein. Aber was, wenn er in meinem Flur plötzlich „Poster“ aufhängt? Oder gemeinsam mit mir frühstücken und dabei reden will? Oder Topfpflanzen mitbringt? Demokratie mag ja eine gute Sache sein, aber nicht in meiner Dreizimmeraltbauwohnung. Ich will nicht putzen, wann ich will. Und nicht reden auch. Und keine Topfpflanzen angucken erst recht. Woraus folgt: Ich brauchte keinen Mitbewohner, sondern einen Untermieter. Gern einen Mann, ist unverbindlicher.

„Journalistin sucht berufstätigen Menschen zum ...“ ja, was? „Distanzierten Zusammenleben“, „pragmatischen Wohnungteilen“? Wie heißt das Wort, das jedem sofort klarmacht, daß man keine WG eröffnen will? Daß man keine Ansprache wünscht? Daß in der Küche nichts umgestellt wird? Mein Freund Sch., der berufsbedingt ziemlich viele Wörter kennt, sagte, so ein Wort gebe es nicht. Also schrieb ich einfach „zur Untermiete“ und wartete ab.

Als erstes meldete sich M., Student, der mir schon am Telefon so wortreich auf die Nerven ging, daß ich ihn erst gar nicht zur Besichtigung einlud, woraufhin er mich beschuldigte, wohl Anhängerin „so einer Frauenpartei“ zu sein. Wer mich kennt, weiß, daß ich niemals Anhängerin irgendeiner Frauenpartei sein könnte. Ein Esel. Der nächste klang besser. Requisiteur beim Fernsehen, viel unterwegs. Fein. Das Zimmer gefiel ihm. Irritierend war nur, daß er während der Wohnungsbesichtigung beiläufig an meinen Möbeln herumklopfte. Dieser Mann nahm eindeutig Materialprüfungen vor! Wahrscheinlich würde er das auch nachts tun, und irgendwann alles in sein Requisitenlager abtransportieren. Auf so einen Kuckuck hab' ich gerade gewartet! Den dritten Kandidaten, einen theaterspielenden Sozialarbeiter, ließ ich nur deshalb in die Wohnung, weil er – strafmildernd – auch Franzose war. War dann aber doch ein Pfau.

„Ich würde ja sowieso lieber eine Frau nehmen“, sagte meine praktisch veranlagte Kollegin. „Dann kannst du auch mal nackig über den Flur rennen.“ Daran hatte ich gar nicht gedacht. Und lud umgehend A. zum Zimmergucken ein. Manchmal essen wir zusammen. Manchmal backt sie mir einen Schokoladenkuchen. Manchmal renne ich nackig über den Flur. Sie ist ein Schmetterling.

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