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Die Eklatmaschine

Jede Szene ein Tabubruch: In „Solo für Klarinette“ geht es um Triebe und Trauer. Götz George schreit wie ein trauriges Tier, und auch Corinna Harfouch ist einsam  ■ Von Christian Buß

Götz George ist ein Star. Wenn er seinen Hosenlatz runterläßt, ist auf dem Boulevard der Teufel los. So wie während der Marketingkampagne zu „Solo für Klarinette“, als Bild wegen einer kolportierten Beischlafszene zwischen dem rüstigen 60jährigen und seiner Filmpartnerin Corinna Harfouch mit „Sexschock!“ titelte. Manchmal muß George auch gar nichts machen und bekommt trotzdem Schlagzeilen, etwa nach der letzten Folge von „Wetten, daß...?“, als man sich auf dem Boulevard darüber mokierte, daß der Schauspieler miesepetrig etwas von Kunst nuschelte, während Thomas Gottschalk nur ein bißchen Spaß haben wollte.

Dieser Rummel paßt zu einem Film, der jede verdammte Einstellung als Tabubruch feiert. Das Leitmotiv ist schnell auf ein Wort gebracht: Ficken. Und zwar als ultimative Erfahrung der Einsamkeit. Dem kleinen Tod des Orgasmus folgt da schon mal der echte Tod durch Kastration. Das jedenfalls ist die Straftat, um die sich locker die Handlung von „Solo für Klarinette“ rankt. Eine Handlung, der jeder Abstecher gegönnt wird, um vielfältig das Hauptmotiv zu illustrieren. Ganz am Anfang werden wir Zeuge, wie die Polizei eine Razzia in einem Altenheim veranstaltet, in der gerade Prostituierte aus dem Osten ihrer Arbeit nachgehen, und in einer seltsam entrückten Sequenz rutscht ein Mädchen in Hochzeitskleid auf einem fast leblosen Greis herum. Später dann vergewaltigt Götz George in der Rolle des Kommissar Bernie Kominka in einer heruntergekommenen Absteige eine andere Professionelle, und gegen Ende treibt er es mit der mutmaßlichen Mörderin. Als er kommt, schreit er wie ein trauriges Tier.

Kein Zweifel, der enthemmte Cop aus Berlin ist ein Wiedergänger des New Yorker „Bad Lieutenant“. So wie dessen Regisseur Abel Ferrara den massiven nackten Leib seines Hauptdarstellers Harvey Keitel durch seinen religiösen Thriller schiebt, so raumgreifend setzt auch Nico Hofmann den Körper Georges für seinen metaphysischen Krimi ins Bild. Keitel ist von Gott verlassen, George vom Glauben, das läuft aufs selbe hinaus. Hofmanns Leistung besteht darin, die monströse Darkness einer Ferrara-Produktion in das ansonsten höchstens mal durch Hundekot verschmutzte deutsche Kino zu holen und ein vollkommen klaustrophobisches, total anonymes Berlin zu inszenieren. Fluchtlinien verlaufen sich hier in sonderbaren Winkeln, die Menschen bleiben Gefangene ihrer eigenen Ängste, und wenn sie auf Single-Parties dann doch noch ein bißchen Freiheit simulieren, sind sie ungefähr so ausgelassen wie Sträflinge beim Hofgang.

Klar, Einsamkeit ist eine generelle Angelegenheit und keine des Geschlechts. Die Erfahrung dieser Einsamkeit ist jedoch sehr wohl geschlechtsspezifisch. So gesehen ist es kein unerheblicher Aspekt, daß die Perspektive aus Elsa Lewins feministischem Lamento, das dem Film als literarische Vorlage dient, gänzlich umgestülpt wird: von der weiblichen der Täterin in die männliche des Ermittlers. Der Mord, vollzogen durch das Abbeißen eines Penis, wird vom Kommissar zwar verständnisvoll aufgenommen, aber nicht als ultimative Befreiung aus dem Kreislauf von Einsamkeit, Flucht und Demütigung verstanden. Aber so ist das: Um hierzulande einen Film durchzusetzen, der explizit von Trieben und Trauer erzählt, muß die Hauptrolle von Götz George gespielt werden, der Eklatmaschine.

„Solo für Klarinette“. Regie: Nico Hofmann. Deutschl. 1998, 95 Min.

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