Nicht mehr witzig

■ Beim Ostmagazin "Eulenspiegel" haben sich Chefs und Redaktion solange darum gestritten, was Satire ist, bis alle Redakteure kündigten

Der Eulenspiegel hat immer Sinn für Humor. Natürlich auch, wenn es um die Art des Gelderwerbs geht. Und so durfte Kaufhauserpresser Arno Dagobert Funke die Außenwelt seines Gefängnisses mit einer Titelbildzeichnung für das Oktoberheft des Ostberliner Satiremagazins bereichern. „Kohlzillas Rache“ ist das Ergebnis – der Noch-Kanzler dürfte über den Titel nicht mal gelächelt haben, schon weil er Verkaufssatire grundsätzlich ignoriert. Ganz anders war das in der fünfköpfigen Redaktion: Dort war man sich uneins, ob der Witz nun witzig ist oder nicht.

Der Dissens über Kohlzilla ist freilich nur die Spitze eines Frustbergs. Denn zu diesem Zeitpunkt lagen auf dem Tisch der Zwei- Mann-Chefredaktion und -Geschäftsführung schon die Kündigungen aller drei festangestellten Redakteure: Der Höhepunkt eines Streits über ein völlig gegensätzliches Satireverständnis.

Dabei hatte es zunächst so ausgesehen, als habe der Eulenspiegel im Gegensatz zu vielen anderen eingestellten DDR-Zeitschriften seinen Platz gefunden. Die heutigen Eigentümer Hartmut Berlin und Jürgen Nowak kauften die in realsatirischen DDR-Zeiten zu Ruhm und Ehre der Parteipolitikverdrossenen gelangte „Eule“ von der Treuhand und hielten sie erfolgreich am Leben. Mit nach eigenen Angaben 120.000 Exemplaren monatlich beherrscht das 1946 gegründete Magazin die Printsatire- Landschaft im Osten. So war es auch keine Bedrohung durch neue Westkonkurrenz, die die Satirezeitschrift in die Krise steuerte. Denn die Titanic mit ihrem ungleich rücksichtsloserem Humor kann die Politwitzfreunde Ost kaum für sich begeistern. Umgekehrt gilt das freilich genauso: Den meisten Westlern erscheint die Ostsatire zu altbacken. So würde den Zynikern aus Frankfurt am Main wohl nie die Idee kommen, der Unpünktlichkeit der Deutschen Bahn eine umfangreiche Geschichte zu widmen. Geschweige denn, daß die Titanic eine Prognose der Wirtschaftsweisen über den Rückgang der Massenarbeitslosigkeit zur witzelnden Story machen würde wie der Eulenspiegel einmal mit seinem Titel „Die Trendwende: Facharbeiter wieder gesucht!“ Und wenn man schon den Kanzler unisono verarschte, dann hatte die Titanic mit einem Hitler-Kohl von der CDVU im geschmacklichen Härtetest noch allemal die Nase vorn.

Das war jedoch nicht das Problem, denn viel schlimmer ist es, wenn es im eigenen Laden nichts mehr gemeinsam zu lachen gibt. So kann man die im letzten Chefredakteurs-Editorial vorgenommene Preisung des Eulenspiegel als „Magazin für Weltoffenheit und Toleranz“ nur noch als versteckten Einschub schwarzen Humors werten. Denn zuletzt gab es den totalen Kommunikations-GAU in der Redaktion. „Menschliche Entfremdung“ sei der Hauptgrund für seine Kündigung gewesen, sagt Reporter André Mielke. Seine Kündigung habe nichts mit politischen Differenzen zu tun, sehr wohl aber mit der unterschiedlichen Auffassung von Satire: Die sei für ihn „nicht Propaganda“, sondern vor allem Unterhaltung: „Ich glaube, man muß den Leuten nicht erst erklären, daß Arbeitslosigkeit schlimm ist.“

Ex-Redakteur Mielke sieht nicht nur in der Leserschaft ein Generationsproblem, sondern auch zwischen Eulenspiegel-Chefs und -Redakteuren. Beide Seiten trennen rund 20 Lebensjahre. Den angeblich in vielen Leserbriefen bestätigten Vorwurf der Chefredaktion, die Reporter frönten zunehmend dem Titanic-Stil, nennt Mielke „völligen Quatsch“.

Indes hält Chefredakteur Nowak den neuen Stil seiner bisherigen Mitarbeiter für eine zu „hoch artifizielle Satire“. Er müsse schließlich auch an die „vielen älteren Leser aus DDR-Zeiten“ denken. „Da ist nicht nur diese intellektuelle Schreibe angesagt“, sagt er. Nowak will stärker Befindlichkeiten und Alltag der Leute reflektieren, „ohne den Weg zurück zu gehen“ und wie in der DDR wieder über unhöfliche Kellner zu berichten.

Autoren, die das Konzept umsetzen, sucht Chefredakteur Nowak bisher fast vergebens: „Wir werden wohl einen Nachwuchswettbewerb an den Journalistenschulen starten“, kündigt er an. Fans der reinen Spaß-Lehre sollten sich allerdings nicht bewerben. Der Comedy-Trend, meint der „Eule“-Chef, laufe sich langsam tot. Gunnar Leue