Am Ideal des Gebundenseins ansetzen

Auf nicht leicht verständlichen Pfaden hat Barbara Holland- Cunz Elemente einer feministischen Demokratietheorie entwickelt, die sich nicht mehr nur dem Ziel der Frauenbefreiung verpflichtet fühlt, sondern die Demokratie von ihren partriarchalen Strukturen löst  ■ Von Mechtild Jansen

Es paßt gut in die Zeit. Die Autorin Barbara Holland-Cunz nimmt einen vergessenen oder verlegten Faden wieder auf. Und sie spinnt ihn fort. Wie eine Archäologin sammelt sie Theoriestücke der feministischen Bewegung, setzt sie ins Verhältnis zum Mainstream, um eine feministische Demokratietheorie zu rekonstruieren und neu zu formulieren. Ihr gelingt es, ein professionelles Handwerkszeug zu entwickeln, mit dem sich Probleme der Demokratie heute bearbeiten lassen.

Die Autorin kritisiert eingangs die Folgen der Normalisierung des Feminismus im Wissenschaftsbetrieb: Unbewegtheit und Kreativitätsverlust sowie Erfolgs- statt Ertragsdenken. Sie möchte, anknüpfend an die Urforderung nach bewegungsexterner wie bewegungsinterner radikaler Demokratie, Normativität und Imagination wiederbeleben.

Holland-Cunz betrachtet den feministischen Diskurs zunächst metatheoriegeschichtlich. Jean B. Elshtain und Alison Jaggar (1983) wollten kritische Zeuginnen und Utopistinnen sein, „Erkennen, Erinnern, Ersinnen“. Carole Patemans (1988) sah das Ziel einer „freien Gesellschaft“ noch unbestimmt in der „Abwesenheit der kontraktualistischen Form des unbegrenzten individuellen Freiheitsverständnisses“. Für sie war die „creation of sexual difference“ eine essentielle Freiheitsäußerung. Anne Philipps (1991) entwarf eine geschlechtsneutrale Gesellschaft mit repräsentativer Gruppenvertretung. Sandra Harding (1994) hob auf die Privilegierung eines Geschlechts als grundlegende Form von Herrschaft in verschränkten Herrschaftsverhältnissen ab.

Währenddessen erlebte die politische Theorie in der kritischen Wissenschaft eine Renaissance. Holland-Cunz setzt nun sowohl auf die „selbstbewußte Anmaßung früherer Texte als auch die professionelle Zurückhaltung aktueller Theoriebildung“. In neuer Gestalt gehe es um die alten Ansprüche, nämlich den Schritt „vom exklusiven Ziel der Frauenbefreiung zum inklusiven Ziel einer antipatriarchalen Radikalisierung der Demokratie“. Die Theorieweise ist transformativ, sie sucht nach den „Ermöglichungsbedingungen“ einer demokratischen Ordnung. Ihr Subjekt ist nicht mehr eindimensional, es ist kein Objekt Frau, sondern eine sich ihrer sozialen Situiertheit selbstkritisch bewußte Akteurin.

Entscheidend sind die anthropologischen Prämissen. Es ist vor allem die Philosophie der Geburt und ein Menschenbild, das vertragliche und nichtvertragliche Bindungsformen synthetisiert. Geborenwerden, diese Erfahrung, so lautet die „Entdeckung“ des Feminismus, machen Frauen und Männer einzig und allein mit einer Frau. Die gesellschaftlich geleugnete Anfangserfahrung des Menschen macht das ungebundene Selbst zu einer patriarchalen Fiktion.

Die Prämisse des Menschseins zu ignorieren, erzeugt repressive Macht, Ausbeutung, Unterdrückung, Gewalt und Herrschaftsverhältnisse. Die politische Theorie hat das bislang kaum interessiert. Nur Hannah Arendt sah das politische Handeln an die Natalität des Menschen gebunden; das „Bezugsgewebe menschlicher Angelegenheiten“ fundiert ihre Entwürfe. Arendt freilich kulturalisiert die Geburt. Dies geschieht unter Verleugnung des weiblichen Anteils, wie Holland-Cunz kritisiert, während wiederum viele Feministinnen sie als weibliche Potenz naturalisieren. Beide verbinden damit jedoch ein Konzept von Verantwortung und somit einer besseren Welt. Um der Naturtatsache des Geborenwerdens willens könne deshalb nur am Ideal des Gebundenseins angesetzt werden.

Die klassische Denkfigur gesellschaftlicher Bindung ist der Vertrag als Paradigma freier Verbindung. Ihr Ursprung ist das isolierte Individuum, das Gehorsam gegen Schutz tauscht, während der Feminismus Bindung durch die Erfahrung „of woman born“ konstruiert. Weil das Faktum Geburt unbestreitbar sei, die Natur in ihrer kontingenten Realität jedoch nicht, so die Autorin, sei die feministische Konstruktion von Bindung triftiger und überzeugender. Weil ferner die menschlichen Bildungsformen kulturalistisch und naturalistisch zugleich sind, müsse die feministische Theorie „the fragility of goodness“ (Martha Nussbaum) integrieren. Das Gewebebild steht für die unterschiedlichen Beziehungen in ihrer Verwobenheit. „Es ist ein Bild der Sozialität unserer Natur“, sagt Holland-Cunz, die gemeinschaftich getroffene politische Entscheidungen existentiell nahelege. Eine Präferenz für demokratische Formen ließe sich so jedoch nicht wirklich begründen.

Spiegelt diese „Anthropologie der Bindung“ noch patriarchale Polarisierung? Dem Geborenwerden etwa geht die Zeugung, wechselseitige Abhängigkeit von Frau und Mann, noch voraus. Die Geburt wird zur Recht als „unauflösbar“ bezeichnet, sie selbst ist aber auch schon die Ablösung. Individuation findet nur unter den Bedingungen dieser Trennung und eines vertraglichen Gesellschaftszustandes statt. Der Vertrag seinerseits ist, da der Mensch abhängig bleibt, auch Zwang und Akt der Freiheit zugleich. Freiheit beginnt als freie Wahl der Abhängigkeit. So gesehen ließe sich auch eine Präferenz für Demokratie – und radikale Gegenseitigkeit – begründen.

Wie sieht nun gebundene Freiheit demokratietheoretisch aus? Holland-Cunz grast wiederum feministische Bestände ab: das Bild vom Reichtum nicht im Materiellen, sondern im Emotionalen, Basisdemokratie und Rätesystem; die Idee der Widerspiegelung von Gruppen in oder der Gruppenrepräsentation neben den herrschenden Repräsentationsinstanzen (A. Philipps, I. M. Young); radikaldemokratische Bündnispolitik, die schon den Begriff des Politischen weitet; die Dekonstruktion essentieller Identitäten hin zu multiplen kollektiven Subjekten und die Bewertung der Differenzen am Ziel sozialer Gleichheit. Daß solche Vorstellungen nicht unvereinbar mit der Verfassung und mehr noch wechselseitige Befruchtungen möglich sind, zeigen die Forschungsergebnisse. Ihnen zufolge kann direkte Demokratie ein nützliches Strukturelement im Parlamentarismus, partizipatorische Demokratie ein sich selbst erhaltendes System und starke Demokratie eine entschieden moderne Form sich selbst regulierender Gemeinschaft von Bürgern sein, die freiheitlich einen republikanischen Grundtenor brauchen. Radikale und diskursive Demokratietheorien kreisen darüber hinaus um die Demokratisierung der Demokratie – über Gespräche und Verhandlungen, eine radikal pluralistische Bürgerschaft, ethische Selbstverständigung und Interessenausgleich. Die Idee des Politischen und seiner Institutionen wird selbst zum Thema.

So baut Holland-Cunz sieben Elemente feministischer Demokratietheorie auf: herrschaftskritisch bis zur Selbstreflexivität; partizipatorisch, republikanisch ausgeschrieben, mit expansivem Modus des Politischen, aber strengen Diskursregeln; direktdemokratisch, darin politisch intergrativ; diskursiv, mit anhaltendem Gespräch zur Schaffung von Gemeinschaft und dem Staat als plurale Arena; bindungsorientiert, Gemeinschaft als Prozeß verstehend, in dem sich vertragliche und nicht- vertragliche Beziehungen wechselseitig bedingen; radikal, im Sinne pluralisierter, „andere“ einschließender und nicht repressiver Gemeinschaftsbildung; normativ, aber offen normativ.

Leicht lesbar ist das Buch nicht, eine straffere Gedankenführung wäre wünschenswert gewesen.

Barbara Holland-Cunz: „Feministische Demokratietheorie. Thesen zu einem Projekt“. Opladen 1998, 221 Seiten, 29,80 DM