Böhmisches Kicker-Dorf

Der Ort Blšany hat nur 389 Einwohner, doch sein Fußballverein liegt in der Spitzengruppe der ersten tschechischen Liga  ■ Von Wolfgang Jung

Blšany (taz) – Ende des 20. Jahrhunderts sind die Fußball-Ligen in ganz Europa von großen Vereinen beherrscht. In ganz Europa? Nein! In Tschechien spielt seit Saisonbeginn ein böhmisches Dorf im Konzert der Großen mit: Chmel Blšany. Nur ein paar Kilometer hinter der sächsischen Grenze, inmitten der Hopfenfelder des historischen Bäderdreiecks, liegt der vermutlich kleinste Fußball-Erstliga-Ort der Welt – exakt 389 Einwohner zählt der Fleck Blšany. Vor einem halben Jahr ist der Verein aufgestiegen, doch soll die laufende Saison kein einmaliges Abenteuer sein: Blšany will sich in der ersten tschechischen Liga etablieren. Und ist auf dem besten Weg dazu. Am Sonntag rückte die Mannschaft durch ein souveränes 3:0 gegen Hradec Kralove auf Rang vier der Tabelle vor.

Eingezogen war der Fußball in Blšany erst 1946. Im ersten Spiel nach der Gründung trat der Klub im 30 Kilometer entfernten Bochov bei Karlsbad an. „Wir fuhren mit dem Rad hin und waren unheimlich stolz auf unsere Vollgummi-Fußballschuhe“, erinnert sich Josef Turek. Zurück reiste der heute 72jährige mit weniger gutem Gefühl: „Wir verloren 0:22, Spaß hat es trotzdem gemacht“, grinst „Pepa“ und zeigt die wenigen Zähne. „Als jetzt in Blšany das erste Erstligaspiel angepfiffen wurde, ging für mich ein Traum in Erfüllung.“ Turek schiebt die graue Mütze aus Mischgewebe ins Genick, angriffslustig funkeln seine Augen durch dicke Gläser. „Und diese Hooligans aus Prag, die sollen ruhig kommen. Unsere Ordner regeln das schon.“

Wie alles in Blšany ist der Ordnungsdienst im Stadion eher unorthodox. Etwa 120 Uniformierte aus einer nahen Polizeischule sorgen mit 20 Absolventen eines Karatekurses und einem guten Dutzend drahtiger Rentner für einen reibungslosen Ablauf. Ursprünglich für aggressive Fans gedacht, regeln sie wegen deren Ausbleiben den Verkehr bei Heimspielen. Aber kann man überhaupt von einem Heimspiel reden, wenn maximal 200 Einheimische in das stets ausverkaufte 4.000 Zuschauer fassende Stadion kommen? Und sollte man statt von einem Stadion nicht eher von einem UFO sprechen, das irgendwann einmal zwischen westböhmischen Getreidesilos gelandet ist?

Fragen, auf die auch Günter Bittengel keine rechte Antwort weiß. Der 32jährige, einst bei Dukla Prag, war im Sommer 1997 von Bayer Uerdingen nach Tschechien zurückgekehrt. „In Krefeld habe ich alles gelernt, was ein Profi braucht“, meint der Mittelfeldspieler. Eigentlich habe er das in Blšany lediglich an Jüngere weitergeben und seine Karriere ausklingen lassen wollen. Doch dann legte der Klub eine Serie von nur vier Niederlagen in 28 Spielen hin und stand im Frühjahr, vier Wochen vor Saisonende, als Aufsteiger fest. Für Bittengel, der alle 28 Spiele mitmachte und sechs Tore erzielte, war das kein Wunder: Die Bedingungen in Blšany seien traumhaft.

Trainer Miroslav Beranek sei die perfekte Symbiose zwischen jüngeren Spielern und Ex-Profis gelungen. Und bei einem Gesamtetat von 25 Millionen Kronen (etwa 1,4 Millionen Mark) sind die Gehaltsdimensionen klar abgesteckt. Das Geld kommt außer von Banden- und Trikotwerbung und dem Fernsehen von privaten Sponsoren wie dem Vorsitzenden des Tschechischen Fußball-Verbandes, Frantisek Chvalovsky. Der erfolgreiche Geschäftsmann stand früher selbst im Tor von Blšany.

Da sich der Verein keine teuren Spieler leisten kann, setzt Trainer Beranek konsequent auf Nachwuchsarbeit und bemüht ein berühmtes Vorbild: Ajax Amsterdam hätte gezeigt, wie man Kindern Lust auf Fußball macht – nicht mit Disziplin, sondern indem man ihre Spielfreude fördert. Diesem Prinzip folgt auch das Erstliga- Team mit Erfolg. Das Gemeinschaftsgefühl sei jedoch nicht verordnet, meint Bittengel. Oft ähnelt das Training einem zufälligen Kick auf einer Wiese, und nicht selten löffelt danach die komplette Mannschaft im Vereinsheim Erbsensuppe zum Einheitspreis. Mehr denn je gleicht Blšany dann jenem gallischen Dorf, das mit Hilfe von Zaubertrank und Schlitzohrigkeit den übermächtigen Gegnern ein Schnippchen schlägt.