Luftkreuz als Shopping-Mall

Martha Rosler stellt für ihre „Beobachtungen einer Vielfliegerin“ Prints und Schnappschüsse von Gangways in der Airport Gallery des Flughafens Frankfurt/Main aus  ■ Von Jochen Becker

Help me – where is it? Left must be Berlin.“ Bei einem Vortrag kam die New Yorker Künstlerin Martha Rosler mit ihren Dias etwas durcheinander, so sehr ähnelte sich das Interieur internationaler Flughäfen. Die in den frühen achtziger Jahren beginnenden Aufnahmen zu „In the Place of the Public / An der Stelle der Öffentlichkeit: Beobachtungen einer Vielfliegerin“ waren in Teilen schon 1996 in der Berliner NGBK-Ausstellung „Shift“ zu sehen. Offenbar finden sie jetzt auf der Ausstellungsempore des Rhein-Main-Flughafens, abgerundet durch eine deutsch-englische Publikation, ihren Abschluß. Zugleich ist dies – nach Jahrzehnten im kritischen Fotografie- und Videokontext – ihre erste Einzelpräsentation in der Bundesrepublik. Einblick in frühere Arbeiten verschafft man sich derzeit auch noch in der Init-Kunsthalle Berlin.

Roslers Sammlung touristisch wirkender Kleinbild-Schnappschüsse reicht von „embryonal“ anmutenden Gangways über einen Galaxy-Transporter auf dem Weg in die Golfkriegsregion bis zur beleuchteten Tafel für die Frequent Flyer Class, der sie seit über einem Jahrzehnt selbst angehört. Denn „die Internationalisierung der Kunstgemeinde und der Künstler bedeutet, daß wir dauernd zirkulieren, so wie unsere Bilder zirkulieren“, wie Rosler im Begleitbuch zur Ausstellung in der Airport Gallery des Flughafens Frankfurt/ Rhein-Main schreibt. Insofern exponiert sich Rosler als betriebsame Reisebegleiterin ihrer eigenen Arbeiten – tatsächlich resultieren die ausgestellten Objekte aus der Übernahme von Reisekosten durch Kunstinstitutionen und von Vortragsreisen. Unterstützt wird ihr Frankfurter Projekt vom lokalen Museum für Moderne Kunst, der Flughafen Frankfurt/Main AG und American Airlines sowie dem geschäftigen Cantz Verlag, der die Ausstellung gleich zur Verlagsshow nutzt: Mit Präsentiertafeln, auf denen Verlagsbücher ausliegen, und Werbeheftboxen ähnelt die Ausstellung einem Stand auf der Frankfurter Buchmesse.

Die Abzüge der Fotos sind per Tintenstrahldrucker in grober Pixatur zu großformatigen Prints aufgeblasen worden, zu denen Satzfetzen wie „institutionelle Fassade“, „Zusammenschlüsse und Aufkäufe“ oder „unendlicher Aufschub“ gehören. Sie stehen in Konkurrenz zu einer Vielzahl brillant abgezogener Werbebilder, die von der Decke hinab ins Foyer hängen. Hier schließt sich die Business World mit der Touristenklasse kurz, aus dem Fenster blickt man aufs Sheraton-Hotel und die Baustelle für den UFO-artigen ICE- Bahnhof; unten stehen Selbstbedienungs-Counter der Lufthansa und gebräunte Kleinfamilien im Weg. Während eine Rolltreppe tiefer die Regionalexpreß-Züge einfahren und auf Flüssigkristallbildschirmen die Info-Elite von n-tv mit Börsendaten versorgt wird, sorgt die Startbahn 18 West für zügigen Flugverkehr. Der heftig umkämpften Trasse soll nun eine weitere Rollstrecke im Norden folgen. Dafür muß geworben werden.

Jedes Jahr reist umgerechnet ein Sechstel der Erdbevölkerung per Flugzeug, und ein Viertel der weltweit produzierten Exportgüter zirkuliert zwischen den insgesamt etwa 30.000 Flughäfen. In Amsterdams Zwillingsstadt Schiphol lassen sich die höchsten Büromieten der Niederlande erzielen, und die Läden haben 14 Stunden geöffnet. Luftkreuze mit nahezu unumgänglichem Umsteigezwang schleusen die Transitreisenden schier endlos durch ihre Verkaufszonen. Das Gepäck soll deshalb schon möglichst rasch auf dem Transportband landen, damit die Gäste die Hände frei haben für die Shopping-Angebote entlang der Wegstrecken bis hin zum Einstieg. Der Gang zum Flugzeug – im 30er- Jahre-Stadtflughafen Berlin-Tempelhof noch ein Katzensprung – gerät schier endlos, während stolz die Ladenfronten bis hin zu Werbedisplays oder Architekturdetails vorgeführt werden: ein Eldorado für Wegeleitsystem-DesignerInnen.

Die verkehrstechnisch optimal angebundenen Airport-Citys bilden mit ihren angelagerten Infrastruktur-, Dienstleistungs- und Freizeitindustrieclustern neuartige Stadtformationen heraus. Diese täglich von Zehntausenden aufgesuchten „parasitären Business-Minimetropolen“, so der Architekturkritiker Marc Cousins, schaffen auch ohne Wohnbevölkerung und produzierendes Gewerbe eigenständiges Leben: Zu Hochzeiten passieren Schiphol täglich 110.000 Besucher, 40 Prozent davon Umsteiger. Allein der Flughafen von Los Angeles hat täglich 150.000 anreisende Autos zur Folge, was dem Verkehrsaufkommen einer Halbmillionenstadt entspricht. So gesehen ist Martha Roslers Projekt „Kunst im öffentlichen Raum“ des ausgehenden Jahrhunderts.

Der jenseits der Kernstadt gelegene Frankfurter Flughafen gehört mit 58.000 ArbeiterInnen zu den größten Wirtschaftszweigen der Republik. Mehr als die Hälfte der in Schiphol Beschäftigten ist gar nicht mehr mit dem Flugverkehr befaßt. Doch neben den Reisenden bleibt diese „workforce“ hinter den Gangways so verborgen wie in Disneyland und wird von Martha Roslers umherschweifender Kamera auch nicht aufgesucht. Im Buch ist von Tunneln, Werkstätten und Maschinenräumen, Abschiebegefängnissen, Einwanderungsbehörden oder Kontrollinstanzen die Rede, doch man bekommt sie nicht zu fassen. Einmal erwähnt Martha Rosler das Fotografieverbot an sicherheitssensiblen Stellen in Heathrow, doch die auch mit ihren Aufnahmen jüngst bestückte „Airport“-Ausstellung im Rotterdamer Fotoinsitut zeigte ausführlich dem „Grenzschutz“ gewidmete Wartelager für ausgesperrte ZuwanderInnen (Ad van Denderen) oder die Bad-job-Menüproduktion für diverse Airlines (Peter Tolkin).

Martha Roslers Aufnahmen entnimmt man, daß sie beim Streunen durch Hallen und Gänge zustande kamen, wohl auch um Wartezeiten bei Anschlußflügen zu überbrücken. Die Ausbeute beim Streifzug mit der Pocketkamera zeigt sich im Amateurlook und nicht selten „out of focus“, leidenschaftslos-gelangweilt manchmal, dann wieder analytisch. Im Katalog schreibt sie weit präziser einen Sprung von den als Arme-Leute- Ding abgestempelten Greyhound- Busfahrten zum Luftverkehr. Daß Flugzeuge inzwischen selbst wie Langstreckenbusse funktionieren, gehe hauptsächlich auf die Aufkündigung des fordistischen Lohnkompromisses zurück. Zusätzlich spiele die Zwangsderegulierung der Flugindustrie durch die Reagan-Administration eine entscheidende Rolle – mit all ihren Folgen von Konkursboom und Lohnraub bis hin zu sexuell vermarkteten Fluggastbetreuerinnen als „Menü- Punkt“ (Rosler) im Bordprogramm. Auch Tarantinos jüngster Kinofilm „Jackie Brown“ erzählt ja die Lebensgeschichte einer abgestiegenen Stewardeß, die ihr Gehalt als Drogenkurier aufbessern muß.

Trotz aller Detailbetrachtungen wirkt aber auch der Begleittext eigenartig zusammengestückelt, wobei in 116 Fußnoten bis hin zum ICE-Crash von Eschede allerlei Wissenswertes, aber auch Wiederholungen, Weitschweifigkeiten oder Banalitäten eingebastelt wurden. Ein Großteil von Roslers Streifzügen durch die Airports der Industrienationen bewegt sich ganz ähnlich bloß an den sichtbaren Phänomenen entlang. Selten nur weicht sie von der Gangway ab: „Ich könnte sagen, daß die Bilder, die ich seit Jahren in Terminals und an Bord von Flugzeugen gemacht habe, genau in dem Zustand der Zerstreuung entstanden, den ich im Essay beschrieb.“ Wie auf einem Förderband ziehen sich die Beobachtungen über weite Strecken durch das Tunnellabyrinth der Flughäfen hindurch, immer wieder von einem aufblitzenden Blick aus dem Fenster durchsetzt. Die politisch-ökonomische Analyse bleibt so seltsam blaß, die konkrete Ausarbeitung fast zynisch, vergleicht man dies mit dem theoretischen und aktivistischen Hintergrund von Martha Rosler oder der bildlichen Präzision ihrer in Berlin ausgestellten Fotomontagen zum Vietnamkrieg als Heimatfront.

Stadtstreicher trifft man in den Airport-Airlines nur selten. Während „In the Place of the Public“ die Bildfindung und vor allem deren Auslassungen eigenartig unbefragt bleiben, verknüpfte Rosler vor 20 Jahren ihre Streifzüge durch New Yorks Bowery mit Reflexionen über die dokumentarisch- künstlerische Fotografie. Ohne dabei die hier sprichwörtlichen „Penner“ abzulichten oder sich ihrer Objekte bemächtigende Opferbilder zu produzieren, erfand sie neue Strategien analytischer Bildproduktion. Ende der achtziger Jahre reagierte das von Rosler angeleitete Projekt „If you lived here“ mit Aktionsmodellen auf wachsende Obdachlosigkeit und sichtbare Armut. In Ausstellungen, Workshops, Vorträgen und Aktionen wurden die sozialen Dimensionen einer gespaltenen Gesellschaft erarbeitet. Die Stärke gewann das Projekt aus der Lokalität, der Ausdauer vor Ort und dem gebündelten Wissen aller Beteiligten.

Bis 1.11. im Flughafen Frankfurt/ Main, Airport Gallery 1, Terminal 1, Abflughalle B

Das zweisprachige Begleitbuch „An der Stelle der Öffentlichkeit: Beobachtungen einer Vielfliegerin“ ist im Cantz Verlag erschienen und kostet 68 DM (zur Rotterdamer Ausstellung „Airport“ erschien in Kooperation mit The Photographer's Gallery, London, ein weiterer Katalog)

Die Retrospektive mit Arbeiten von Martha Rosler ist noch bis 1.11. in der Init-Kunsthalle Berlin zu sehen