■ Kosovo: In Belgrad ist die Nato-Sprache der Gewalt verstanden worden. Europa muß nun auch zu einer verständlichen Politik finden!
: Serbiens Weg nach Europa

Die Drohung der Nato gegenüber Milošević wirkte, noch bevor sie vom deutschen Bundestag am letzten Freitag sanktioniert wurde. Für pazifistisch orientierte Abgeordnete konnte so ein Paradox zur Behelfsbrücke werden: Je weniger sie die Entschlossenheit der Nato zur Gewaltanwendung in Frage stellten, um so begründeter war die Hoffnung, daß sich die militärische Aktion zur Eindämmung der Kosovokrise vorerst erübrigen würde. Die Verantwortungsethiker haben es offenbar so gesehen, wie die breite Unterstützung auch der bündnisgrünen Abgeordneten für die Drohung der Nato zeigt.

Gesinnungsethikern der Gewaltfreiheit dagegen muß es den Magen umdrehen. Läßt sich noch plausibel von der Spirale der Gewalt reden, an der keinesfalls gedreht werden dürfe? Rührt es nicht an die Achillesferse des Pazifismus, wenn im Bundestag unwiderlegt geäußert wurde, daß Milošević nur die Sprache der Gewalt versteht? Stößt Gewaltfreiheit, das Politikprinzip in Demokratien und gegenüber rechtsstaatlichen Instanzen bei Despoten nicht an ihre Grenzen?

Daß die Bündnisgrünen sich jetzt nicht in solchen Grundsatzdebatten verfingen, sondern sich mit den internationalen Folgen ihres Tuns oder Unterlassens auseinandersetzten, zeigt nicht nur, wie sie mit der auf sie zukommenden Regierungsverantwortung wachsen. Der Beschluß vom Freitag bewirkt nicht weniger, als den Weg freizugeben für die Beteiligung der Bundeswehr an einem möglichen Kampfeinsatz auf dem Balkan – und das auf wackeliger völkerrechtlicher Basis. Noch vor kurzem wäre das nicht nur bei den Grünen unvorstellbar gewesen. Die deutsche Politik stellt sich der schlechten internationalen Realität, anstatt sich hinter dem Verweis auf ihre Sonderrolle zu verstecken.

Ein Befreiungsschlag ist das dennoch nicht. Denn weder ist die Kosovokrise entschärft, noch sind die offenkundigen Defizite einer universellen Friedenssicherung aus der Welt. Allenfalls hat die Politik durch die Übereinkunft von Holbrooke und Milošević ein wenig Raum gewonnen. Sie muß ihn jetzt auch nutzen. Besonders Europa darf sich – auch wenn Amerika der Spielmacher bleibt – nach dem Kraftakt der Drohgebärde nicht erleichtert zurückziehen.

Zur schlechten Realität gehört, daß Menschenrechte und Völkerrecht nicht widerspruchslos übereinstimmen. Im Dilemma zwischen beiden hat der Westen im Kosovo den Menschenrechten Priorität eingeräumt. Das ist legitim, wenn auch nicht ganz legal. Denn daß bei allen Bezügen zu Sinn und Gehalt von UN-Resolutionen, die die Legitimität unterstreichen, im strikten völkerrechtlichen Sinne eine Selbstmandatierung vorliegt, läßt sich kaum leugnen. Zum schlechten Präzedenzfall würde sie aber erst dann, wenn der Notfall zum völkerrechtlichen Normalfall schöngeredet würde.

Wurde durch dieses Vorgehen das Gewaltmonopol der UN ausgehöhlt? Kaum. Denn zum Gewaltmonopol gehört klassischerweise nicht nur das Privileg, es auszuüben, sondern auch die Pflicht, diejenigen, die es übertragen haben, vor gewaltsamen Übergriffen zu schützen. Das Handlungsdefizit der Vereinten Nationen liegt in ihrer überlebten Struktur. Sie räumt den Hauptmächten der Anti-Hitler-Koalition Vorrechte ein, die in der bipolaren Welt des kalten Krieges noch einen Einigungszwang bewirkten, aber nicht mehr in die Zeit renationalisierter Regionalkonflikte passen. Nicht selten werden sie zu Großmachtspielen auf Kosten der Handlungsfähigkeit der UNO genutzt.

Eine Reform der UNO ist zwingend, ihre Demokratisierung aber kein Selbstzweck. Angesichts der unter den Mitgliedsländern unterschiedlich ausgeprägten Achtung der Menschenwürde, muß sie strikt auf die Wahrung der Menschenrechte und die Sicherung des Friedens bezogen sein. Die Ersetzung des Vetorechts durch qualifizierte Mehrheiten wird nicht einfach zu erreichen sein. Selbst England und Frankreich werden sich nur dann in kollektive Verfahren einbinden lassen, wenn sich eine gemeinsame europäische Außenpolitik herausgebildet und gefestigt hat. Keine kleine Aufgabe für den neuen Außenminister und die deutsche Diplomatie. Mit dem avisierten Verzicht Deutschlands auf einen ständigen Sitz im Sicherheitsrat zugunsten einer künftigen europäischen Vertretung ist ein Schritt in die richtige Richtung getan.

Was kann, was sollte Europa im Kosovo tun? In die vorgesehenen Verhandlungen über den Status des Kosovo wäre nicht nur die Option einer autonomen Provinz, vergleichbar der Montenegros innerhalb der Bundesrepublik Jugoslawien, einzubringen. Den Konfliktparteien sollten auch Teilabkommen über die Inanspruchnahme von Wiederaufbauhilfe unter Hinzuziehung von OSZE-Personal abgerungen werden. Wenn es gutgeht, würde eine solchermaßen zur zivilen Intervention ausgebaute Beobachtermission der OSZE auch am Wachsen ziviler Strukturen und lokaler Sicherheitsorgane mitwirken. Auf der Basis derartiger, von der OSZE moderierter Vertrauensbildung, könnte am Ende dann doch noch eine Verständigung auf einen Autonomiestatus stehen.

Und wenn es schlecht geht, wenn Milošević fortfährt, die internationale Gemeinschaft an der Nase herumzuführen? Für diesen Fall tun die Europäer gut daran, neben dem Prinzip Hoffnung eine zweite Option zu entwickeln und im Zweifel bis zur Erzwingung eines UN-Protektorats zu gehen.

Aber auch Serbien und der Bundesrepublik Jugoslawien muß eine zweite Option eröffnet werden. Der Weg nach Europa sollte durch ein konsistentes und greifbares Angebot eröffnet werden. Geachteter Partner der europäischen Völkergemeinschaft kann werden, wer Frieden und Demokratie – Menschen-, Bürger- und Minderheitenrechte, Presse- und Informationsfreiheit, freie Wahlen – und nicht zuletzt auch die Zuständigkeit des Haager Gerichtshofes in Menschenrechtsangelegenheiten respektiert. All dies kann – durch Abkommen, Gesetze oder Beitritt zu einschlägigen Konventionen – Schritt für Schritt Grundlage zunächst einer Lockerung der Sanktionen, dann der wirtschaftlichen Integration und schließlich der politischen Aufnahme in die europäischen Gemeinschaften sein.

Das Angebot Europas muß den Serben eine Alternative bieten, falls sie der Krisen und Kriege müde sind. Es muß der serbischen Opposition einen Anknüpfungspunkt geben, falls sie je ernsthaft aus dem Schatten Miloševićs treten will und bereit zum Frieden ist.

Daniel Cohn-Bendit,

Frank Herterich