Skepsis über Rentenkonzept

■ Rentenversicherungsträger äußern Bedenken gegen die Rücknahme der Rentenkürzung. Gegenfinanzierung der Mehrkosten ungeklärt

Berlin (taz) – Die von der SPD und den Bündnisgrünen beschlossene Zurücknahme der Rentenkürzung wird von den Rentenversicherungsträgern skeptisch beurteilt. Der Vorsitzende des Verbandes der Deutschen Rentenversicherungsträger (VDR), Jürgen Husmann, erklärte gestern, für 1999 sei mit einer zusätzlichen Belastung von 900 Millionen Mark zu rechnen.

Im Jahr 2000 würden diese Belastung angesichts der veränderten demographischen Entwicklung sogar 3,4 Milliarden Mark betragen. Ein Sprecher des VDR ergänzte gestern gegenüber der taz, man sei gespannt darauf, wie die Gegenfinanzierung der jetzt versprochenen Rentenkürzung durch die Koalitionäre gesetzlich festgeschrieben werde.

SPD und Grüne hatten am Sonntag vereinbart, die Rentenkürzung bis zum Jahresende 2000 auszusetzen. Das durchschnittliche Nettorentenniveau sollte ursprünglich ab 1999 von derzeit 70 in den kommenden Jahren auf 64 Prozent abgesenkt werden. In den nächsten zwei Jahren wollen Sozialdemokraten und Grüne eine Strukturreform der Rente in Angriff nehmen.

Zur Gegenfinanzierung ihres Rentenkonzepts hatten SPD und Bündnisgrüne am Wochenende zwei Vorschläge eingebracht: So sollen die bisher versicherungsfreien 620-Mark-Jobs (in Ostdeutschland 520 Mark) und die sogenannten Scheinselbständigen in die Rentenversicherung mit einbezogen und der Bundeszuschuß erhöht werden.

VDR-Vorsitzender Jürgen Husmann bezweifelte gestern, ob die Einbeziehung der bisher versicherungsfreien Jobs die Rentenkasse entlasten kann. Diese Überlegungen der rot-grünen Verhandlungspartner glichen einem „Nullsummenspiel“.

Kurzfristig werde es wohl Einnahmen geben, langfristig aber Mehrausgaben, da schließlich deutlich mehr Rentenempfänger Anspruch auf Zahlungen hätten. Der VDR wies daraufhin, daß die Zahlen über die sogenannten geringfügig Beschäftigten stark schwankten. Den VDR-Angaben zufolge liegt sie bei 5,6 Millionen Personen. Theoretisch könnten sie der Rentenkasse jährlich acht Milliarden Mark einbringen, hieß es. Andere Zahlen gehen allerdings von weniger geringfügig Beschäftigten aus.

Generell wird beim VDR befürchtet, eine Versicherungspflicht für die Gruppe der geringfügig Beschäftigten würde letzlich nur die Flucht in die Schwarzarbeit fördern.

Der VDR wies noch einmal darauf hin, daß durch niedrige Beitragssätze der Rentenkasse bis zum Jahresende rund 4,7 Milliarden Mark fehlen werden. Man sei von dieser Entwicklung überrascht worden, hieß es. Mit ein Grund könne die Zunahme der Arbeitslosigkeit bis zur Jahresmitte gewesen sein.

Mit Spannung wird im VDR beobachtet, ob die neue Bundesregierung angesichts der prognostizierten negativen Wirtschaftsdaten den Beitragssatz im kommenden Jahr bei 20,3 Prozent halten kann. Eine Erhöhung war schon zuletzt auf der Verbandstagung als „politischer Selbstmord“ bezeichnet worden. Gerechnet wird daher im VDR eher mit einer Anhebung des Bundeszuschusses. In diesem Jahr werden allein 9,7 Milliarden zusätzlich zugeschossen. Der Bundeszuschuß steigt damit insgesamt auf rund 83 Milliarden. Für 1999 ist ein zusätzlicher Bundeszuschuß von 15,6 Milliarden gesetzlich vorgesehen. Unterschiedlich bewertete gestern der Präsident des Sozialverbandes VdK, Walter Hirrlinger, das neue rot-grüne Rentenkonzept. Auch ohne Kürzung des Rentenniveaus könnten die Beitragssätze bis zum Jahr 2015 bei rund 20 Prozent gehalten werden. Notwendig sei allerdings, daß als Ausgleich für versicherungsfremde Leistungen weitere 15 Milliarden Mark in die Rentenkassen fließen würden. Severin Weiland