Experten fordern Tabubruch: Wer Bildung will, soll zahlen

■ Gewerkschaftsstiftung schlägt private Beteiligung an Bildungsausgaben vor. Der Staat soll nur noch die Sockelfinanzierung übernehmen, der Rest ist Sache des Bürgers

Berlin (taz) – Während die rot-grüne Bundesregierung ein Verbot von Studiengebühren angekündigt hat, fordern hochkarätige Experten just das Gegenteil: Der vor einem Jahr einberufene Bildungsrat der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler- Stiftung verlangt, die staatliche Bildungsfinanzierung aufzuheben. Die dreizehn Weisen – darunter der ehemalige GEW- Chef Dieter Wunder, Meinolf Dierkes vom Wissenschaftszentrum Berlin, die Bündnisgrüne Sybille Volkholz und der Hamburger Universitätspräsident Jürgen Lüthje – schlagen eine private Beteiligung an der Finanzierung von Schule und Studium vor. Der Kommissionsbericht, der gestern abend in Bonn vorgestellt wurde, empfiehlt, daß der Staat nur noch eine Sockelfinanzierung übernimmt, der Rest sei dann Sache der Erziehungsberechtigten beziehungsweise der Studenten. Das Verbot von Studiengebühren nannte Jürgen Lüthje „reinen Populismus, solange kein erheblicher Anstieg staatlicher Ausgaben zu verzeichnen ist“.

Nach Meinung der Experten existiert in Deutschland schon längst eine gemischte Bildungsfinanzierung. Vom Kindergarten bis zur Altenpflegeschule würden Gebühren verlangt. Fragwürdig sei, warum ein staatlicher Kindergartenvormittag für Eltern bis zu 5.400 Mark im Jahr kostet, während eine Beteiligung an Studiumkosten tabuisiert werde. „Das Ausmaß der Gebührenpflicht ist so beachtlich wie zugleich unbekannt und undiskutiert“, heißt es in dem Bericht. Schon deshalb müsse die Finanzierung neu geordnet werden.

Zudem errechnete das Gutachten für die nächsten Jahre einen erheblich größeren finanziellen Aufwand für Bildung. „Es wird nahezu unmöglich sein, bei gleicher Höhe der Bildungsausgaben und außerdem gleicher Art des Umgangs mit den Mitteln die qualitativen Standards zu halten; noch weniger wird es möglich sein, die angestrebte Steigerung der Qualität zu erreichen“, heißt es. Daß der Staat seine Aufwendungen erheblich steigert, wird für unrealistisch gehalten.

Deshalb fordert die Kommission, der Staat solle nur noch die Sockelfinanzierung von Schulen, Hochschulen und anderen Einrichtungen garantieren. Den Rest sollen Bildungsgutscheine bringen. Jedes Kind bekäme demnach ein Bildungskonto, auf das der Staat seinen Teil einzahlt. Auch Eltern, Großeltern und Tanten sollen für die Bildungsaussteuer sparen. Analog zum Bausparen zahlt der Staat dazu – je geringer das Einkommen der Eltern, desto mehr. Von diesem Konto werden Bildungsgutscheine erworben. Zunächst soll die Kombination von Staatsfinanzierung und Bildungsgutscheinen mit allen Bildungsgängen nach der zehnten Klasse der allgemeinbildenden Schulen starten.

Schon vor der Veröffentlichung der Empfehlungen setzte die erste Kritik ein. Aus der GEW hieß es, das Papier sei „neoliberal“. Kommissionsmitglied Dieter Wunder hält das allerdings für ein Totschlagargument. Es gehe neben der Finanznot vielmehr um das Prinzip Verantwortung. Auch Sybille Volkholz verlangt im Hinblick auf die im internationalen Vergleich hohen Lehrergehälter in Deutschland, „da kann man mehr Verantwortung der Lehrer für ihre Schule erwarten, auch Ideen für eine andere Arbeitszeitregelung“. Reinhard Kahl Debatte Seite 12