Zwischen den Rillen
: Gerechtigkeit für Indien

■ Go, Tabla, go! Asian Club-Kosmos mit Talvin Singh und Outcaste Records

„Ich hatte den Traum, westliche und indische Musik in neuer Form zu kombinieren, zu einer Musik, die keinen bestimmten Namen besitzt, aber melodiös und bewegend ist, und die modernste elektronische Mittel mit dem alten traditionellen Instrument, der Sitar, verbindet.“ Klingt aktuell, dieses Zitat, es könnte sich um ein Statement des britischen DJ-Stars und Asian-Underground-Impresarios Talvin Singh handeln. Tatsächlich aber stammt es vom indischen Sitar-Rebellen Ananda Shankar und ist von 1970. Outcaste Records hat den Pionier des Ost-West-Crossover wiederentdeckt.

Die jüngste Compilation des Kleinlabels birgt eine grandiose, fast vergessene Version von „Jumping Jack Flash“, auf der Ananda Shankar die Vorlage mit quengelnden Sitar-Riffs und dröhnender Hammondorgel auf witzige Weise verzerrt. Eine schöne Erwiderung auf den Eso-Orientalismus jener Bands, die Anfang der Siebziger mit indischen Instrumenten ihren Songs einen Spritzer exotischer Spiritualität beigaben: While my Sitar gently weeps. Ananda Shankar dagegen ging es nicht um vordergründige psychedelische Effekte, sondern um Gleichberechtigung. Gerechtigkeit für Indien!

Wenig überraschend, daß die zweite Generation asiatischer Musiker in ihrem Versuch, sich eine Geschichte zu geben, bei ihm landete. Ihr Anliegen ist schließlich ganz ähnlich: Raus mit den klassischen indischen Klängen aus der engen Ethno- Nische, mitten rein in den Club-Dschungel. Ananda Shankars Vision scheint sich heute erfüllt zu haben. Vielgestaltig ist der angloasiatische Sound dieser Tage, und er trägt viele Namen.

Zum Beispiel Outcaste: Seit vier Jahren bietet Outcaste – als Club und Plattenlabel – ein Forum für die britisch-asiatische Musikszene. Mit dem Namen wird auf die „Unberührbaren“ im indischen Kastensystem wie auf die eigene Stellung in der englischen Musikindustrie angespielt. In die gleiche Kerbe schlägt auch der Titel des zweiten Samplers, „Too Untouchable“.

Darauf sind, neben ausgesuchten Altvorderen wie Ananda Shankar oder Trilok Gurtu, aktuelle Stücke aus angloasiatischer Produktion zu hören, darunter zwei des Duos Badmarsh & Shri. Die beiden haben mit „Dancing Drums“ ein vielgelobtes Debüt abgeliefert. Keine akustischen Räucherstäbchen für entspannungssuchende Meditationszirkel, sondern indisch gefärbte, nervös tickernde Clubrhythmen zwischen Dub und Drum'n'Bass, mit flirrenden Sitars und entrückten Bambusflöten. Eine Synthese, bei der Sitar und Tabla mehr als bloß klangliche Farbkleckse beisteuern, sondern vielmehr das Grundgerüst des Groove bilden. Go, Tabla, go!

Die meisten Meriten trägt aber einmal mehr Talvin Singh davon. Der junge Tabla-Guru ist Gesicht und Motor jener Bewegung, der er selbst einst das werbewirksame Etikett „Asian Underground“ anhängte. Seinen Ruf als Musiker und Produzent verdankt Talvin Singh seiner Zusammenarbeit mit so illustren Persönlichkeiten wie Björk, Bim Sherman und Sun Ra sowie Projekten, die mal „Future Sound of India“, mal „Calcutta Cyber Café“ hießen und stets Aufsehen erregten. Legendär auch der von ihm mitbegründete Anokha-Club, der Maßstäbe gesetzt hat für die Möglichkeiten des musikalischen Kulturmischens.

Sein Geschick in Sachen Selbstvermarktung ließ Talvin Singh nicht nur zum liebsten Coverboy der britischen Trendmagazine aufsteigen, er steigerte auch das Interesse der Plattenindustrie an dem 29jährigen Wunderkind, das es absichtsvoll vermied, eine Platte unter eigenem Namen zu veröffentlichen, ins nahezu Unermeßliche. Das Albumdebüt liegt nun endlich vor, heißt „OK“ und gibt dem Hype neues Futter.

Die Mittel eines Majordeals voll auskostend, hat Talvin Singh sein Soloding zwischen Madras, London, Bombay, New York und Japan aufgenommen, hat mit den Nenes, einer weiblichen Vokalgruppe aus Okinawa, ebenso wie mit einem zwölfköpfigen indischen Frauenchor gearbeitet. Daß das vielschichtige Werk nicht überladen wirkt, dürfte nicht zuletzt an Talvin Singhs klassischer Ausbildung liegen, die ihn um die Wichtigkeit von Pausen der Stille, von Luft in den Arrangements wissen läßt.

Insgesamt weist „OK“ eine sehr asiatische Ästhetik auf und einen fast epischen, kinematographischen Charakter. Mit unverwechselbarer Handschrift komponiert Talvin Singh Bilder wie für ein großes Leinwandmelodram, mit kitschigen, meditativen und hektischen Sequenzen, futuristisch und traditionsverpflichtet zugleich. Den einzigen Vorwurf, den man machen kann: „OK“ ist sehr, fast zu sehr konsensfähig. Es paßt als Hintergrundmusik in Hippie-Teestuben genauso wie in Cocktailbars, in Edelboutiquen genauso wie auf den Trödelmarkt. Egal. Eine Platte, in der man versinken und das Zeitgefühl verlieren kann, zu der man wegsacken und den Mond anschauen sollte. Daniel Bax

Talvin Singh: „OK“ (Omni/ Mercury)

V.A.: „Too Untouchable“ (Outcaste/eastwest)

Badmars & Shri: „Dancing Drums“ (Outcaste/eastwest)