Nicht immer – aber immer öfter

Auf dem EU-Sondergipfel in Pörtschach wollen sich die Regierungschefs vor allem selbst stärken. Zum Beispiel wollen sie sich in Zukunft doppelt so oft treffen wie bisher. Das halten sie für mehr Demokratie  ■ Aus Brüssel Alois Berger

An diesem Wochenende wird die EU bürgernäher. Das haben die EU-Staats- und Regierungschefs im Juni in Cardiff so beschlossen, und nun soll es auf dem Sondergipfel im österreichischen Pörtschach klare Konturen bekommen. Die Liste der Vorschläge ist lang, und nicht immer ist klar, was daran besonders bürgernah sein soll.

Schon der Termin des Sondergipfels, kurz nach der deutschen Bundestagswahl, gibt Aufschluß über die Motivation der Veranstaltung. Der in Cardiff noch hoffnungsvolle Helmut Kohl wollte den Bürgern zu Hause zeigen, daß er die Ängste vor einem unaufhaltsamen Machtzuwachs des EU-Molochs in Brüssel ernst nimmt. In einem gemeinsamen Brief mit dem ebenfalls besorgten französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac forderte er, die Kompetenzen der EU in einigen Bereichen zurückzustutzen und den Nationalstaaten wieder mehr Spielraum zu geben. Was er damit konkret meinte, erläuterte sein Adlatus Joachim Bitterlich in Cardiff: Das Tabakwerbeverbot und die Urteile des Europäischen Gerichtshofs zum Gesundheitswesen seien zu weit gegangen. Da von vornherein klar war, daß die Mehrheit der EU-Regierungen wenig Interesse hat, der EU solche Kompetenzen wieder abzunehmen, wurde der Sondergipfel so gelegt, daß der deutsche Wahlkampf keine Rolle mehr spielt. Statt Kohl wird nun der künftige Bundeskanzler Gerhard Schröder als Gast anreisen. Offiziell darf Schröder noch nicht mitreden, da er noch nicht gewählt ist. Er hat bereits angedeutet, daß er unter Bürgernähe vor allem eine bessere Zusammenarbeit in der Beschäftigungspolitik versteht.

Den mehrheitlich sozialdemokratisch geführten EU-Regierungen kommt das entgegen. Der österreichische Kanzler und derzeitige EU-Ratspräsident Viktor Klima hofft nach dem Abgang von Kohl, daß es nun endlich möglich sei, „klare und überprüfbare Ziele“ zum Abbau der Arbeitslosigkeit zu setzen. Ähnlich den Verschuldungskriterien beim Euro sollten die EU-Länder gegenseitig Druck machen, damit die Ziele eingehalten werden.

Der Erwartungsdruck ist diesmal enorm

Unterm Strich bedeutet das mehr Europa und nicht weniger. Vor dem Europaparlament betonte Klima am Mittwoch, daß es in Pörtschach keinesfalls darum gehe, „den Integrationsprozeß zu stoppen, umzukehren oder die Institutionen anzugreifen“. Konkrete Beschlüsse sind in Pörtschach ohnehin kaum zu erwarten. Informelle EU-Gipfel sind im Grunde eine Art Nachdenkseminare. Die Regierungschef sollen sich frei von Entscheidungszwängen über die Zukunft der EU unterhalten können.

Doch der Erwartungsdruck ist enorm. Mit großer Anteilnahme verfolgen Österreichs Journalisten und ihre Leser, ob sich der EU- Neuling bei seiner ersten Ratspräsidentschaft blamiert. Aus Angst, die Zwanglosigkeit des Sondergipfels könnte von der Bevölkerung falsch verstanden werden, hat der Gipfelveranstalter Klima eine ganze Reihe von Themen draufgepackt, die in vier Stunden reiner Gesprächszeit eine unösterreichische Hatz aufkommen lassen könnten. Aus einigen EU-Hauptstädten ist die Sorge zu hören, daß die Tiefe der Diskussion darunter leiden könnte. Der Gipfelkalender sieht jedenfalls Gespräche über eine Stärkung der Wirtschafts-, der Innen- und der Außenpolitik vor. Von einer Wiederaufnahme der inneren Reformen der EU, die beim Amsterdamer Vertrag wegen unüberbrückbarer Differenzen nicht zustande kamen, will Klima nichts wissen.

Der österreichische Europaabgeordnete Johannes Voggenhuber (Grüne) erklärte den Gipfel deshalb schon vorab als gescheitert. „Die einfachste Formel für Bürgernähe ist Demokratie“, meinte er. Daraus ergebe sich, daß die Entscheidungen transparenter gemacht und das gewählte Europaparlament mehr Macht bekommen müsse. Aber genau das stehe in Pörtschach nicht auf der Tagesordnung.

Doch auch Regierungschefs sind gewählt, meinen die Regierungschefs und wollen vor allem sich selbst stärken. Weil sie ihren Ministern nicht zutrauen, endlich Fortschritte in der gemeinsamen Innen- und Außenpolitik zu machen, wollen sie die Sache nun häufiger selbst anpacken. Statt vier EU-Gipfel soll es künftig acht geben: Die Regierungschefs wollen sich künftig doppelt so oft treffen wie bisher, um die Entwicklung der EU stärker zu beeinflussen. Das läuft auf eine Teilentmachtung der Außenminister hinaus.