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: Menschsein ist möglich

Lektion eins: Wie fahre ich Omnibus, jenes Fahrzeug, das wie ein Dienstwagen von einem Uniformierten chauffiert wird? Also, einen Omnibus betritt man auch dann, wenn niemand die Tür aufhält. Und erschrecken Sie nicht, wenn Sie dort nicht allein sind. Die Gegenwart anderer Menschen hat durchaus ihre Richtigkeit. Die Plastikschalen nennt man übrigens Sitzplätze. Nehmen Sie nur dann Platz, wenn sich darauf nicht bereits ein anderer Mensch niedergelassen hat. Omnibusse haben darüber hinaus die Eigenschaft, in mehr oder minder regelmäßigen Abständen zu kommen. Warten Sie also nicht darauf, daß Ihre Vorzimmerdame ihn ordert.

Lektion zwei: das Telefon. Ein Telefon ist dieses kleine Gerät auf Ihrem Schreibtisch, das früher automatisch redete. Wenn Sie es betätigen möchten, weil niemand mehr mit Ihnen sprechen möchte, heben Sie den kleinen Hebel (Hörer) und drücken Sie leicht auf die numerierten Tasten (nacheinander!). Genauere Handlungsanweisungen dazu entnehmen Sie unserem Handbuch für entmachtete Abgeordnete und Minister „Menschsein ist möglich“.

Jetzt wollen wir uns alle an den Händen fassen, auch Sie Herr Kohl, und nachspüren, wie die Energie durch unseren Körper fließt. Energie hilft gegen das, was Ihnen gerade widerfahren ist. Einige nennen das Machtverlust oder schwarzes Loch. Wir Psychologen sprechen von Entlastungsdepressionen. Keine Termine mehr, keine Anrufe, keine Sekretärin, kein Dienstwagen, kein Volk, das einen liebt. Das schmerzt. Herr Blüm, fühlen Sie Ihren Tränen ruhig nach. Bewußte Trauerarbeit ist der Schlüssel zur Überwindung Ihres Leidens. Schreiben Sie Tagebuch, auch Kreuzworträtsel können hilfreich sein, suchen Sie Herausforderung bei einer Extremsportart. Für diejenigen unter Ihnen, die aufgrund Ihrer körperlichen Konstitution dazu nicht in der Lage sind, fahren wir das nächste Mal mit der Lektion „Wie bringe ich den Mülleimer runter“ fort. Der Mülleimer ist der graue Kasten, der... – aber davon später. Vera Gaserow