: Falsche Bescheidenheit des Westens in Peking
■ Der europäisch-chinesische Menschenrechtsdialog erschöpft sich im Austausch von Höflichkeiten. Heikle Themen werden ausgespart. Amnesty-Vertreter erstmals offiziell dabei
Peking (taz) – Die weitgereisten Diplomaten schnauben. Ob auch von neuen politischen Freiheiten in China die Rede gewesen sei, fragt ein Journalist nach Abschluß der sechsten Runde des europäisch-chinesischen Menschenrechtsdialogs. „Das ist doch noch schwieriger, als die Folter zu verhindern“, kontert der erschöpfte Delegationsleiter aus Wien.
Der kurze Wortwechsel läßt etwas von der uneingestandenen Mühe ahnen, mit der sich in dieser Woche hundert europäische Regierungs- und NGO-Experten an dem ihnen von Peking zugestandenen „Menschenrechtsdialog“ abarbeiteten. Zunächst durften sie stolz sein. Nie zuvor ließen sich die chinesischen Kommunisten auf eine derart breite Diskussion mit Ausländern zum Thema Menschenrechte ein. Und nicht nur Offizielle, sondern auch Rechtsanwälte, Professoren und Wissenschaftler waren auf beiden Seiten mit von der Partie.
Sogar Vertreter der Menschenrechtsorganisation amnesty international konnten erstmals im Rahmen einer politischen Delegation nach Peking einreisen und an Gesprächen mit der chinesischen Regierung teilnehmen. Doch bleibt am Ende die Frage: Welche Ergebnisse zeitigen die ausführlichen Gesprächsrunden? Hatte nicht die Pekinger Parteizeitung China Daily gerade betont, daß sich an der chinesischen Menschenrechtspolitik allen jüngst unterzeichneten UNO-Konventionen zum Trotz nichts ändern werde?
Das sehen unsere Experten selbstverständlich anders. „Es gibt in China sichtbare Fortschritte, was die Verfügbarkeit einer Rechtsprechung anbelangt. Die Menschen erreichen schneller und einfacher einen Rechtsanwalt“, betont ein Wiener Diplomat. Der ihn begleitende Rechtsprofessor aus Deutschland spricht sogar von einem neuem Trend zur Gewaltenteilung in China. Ganz allgemein glaubt man den Chinesen, daß sie sich ernsthaft für ein Ende der Folter in den Gefängnissen des Landes einsetzen und sich darüber hinaus Mühe geben, den Einsatz der Todesstrafe auf wenige, verifizierbare Delikte zu beschränken. „Die Chinesen verstehen, daß viele Europäer der maßlose Gebrauch der Todesstrafe in China abschreckt“, beobachtet ein englischer Diplomat.
Damit beschreibt er jedoch auch das größte Problem des Menschenrechtsdialogs mit China. Denn noch immer ist nicht klar, ob er nur eine Geste Pekings an die aufgeregten Europäer darstellt oder ob er von dem genuinen Interesse der chinesischen Regierung geleitet wird, schrittweise eine Verbesserung der Menschenrechtssituation auf Gebieten herbeizuführen, die die Rolle der KPCh nicht gefährdet. Beides ist durchaus möglich und natürlich sind sich unsere Experten dessen bewußt.
Ganz höflich sprechen sie über Menschenrechtsverletzungen, um ihre neuen Partner nicht zu verärgern. „Wir wollen hier keine Einzelheiten herauspicken. Unsere Diskussionen betreffen weitreichende Themen“, entzieht sich der Delegationsleiter der Frage, welche konkreten Menschenrechtsverletzungen man überhaupt angeklagt habe. „Unser Dialog heute kann nicht dazu führen, daß schon morgen weniger gefoltert würde“, räumt man schließlich ein. Man könnte das auch falsche Bescheidenheit nennen. Georg Blume
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