Neue Töne für die Rose vom Wörthersee

Beim EU-Gipfel in Österreich darf Gerhard Schröder teilnehmen, obwohl er noch gar nicht Bundeskanzler ist. Sein Vorgänger hatte keine Lust mehr. Die Atmosphäre unter den Regierungschefs hat sich deutlich geändert  ■ Aus Pörtschach Alois Berger

Sie hätten auch die Sozialistische Internationale singen können. Den meisten Regierungschefs, die im österreichischen Pörtschach im engen Sitzungskämmerlein zusammensaßen, müßte der Text noch geläufig sein. Doch Ex-Jusoschef Gerhard Schröder, Ex-Kommunist Massimo D'Alema und all die anderen Ex-Radikalen hielten sich am Wörthersee lieber an gemäßigtes Liedgut. Bei ihrem Tête-à-tête mit Blick auf Wasser- und Alpenkulisse empfahlen sich gleich mehrere für die erste Stimme in der Rose vom Wörthersee. Eine österreichische Zeitung zitierte den EU-Kommissionspräsidenten mit dem schönen Refrain: „Wir denken gemeinsam nach, wir wissen nur noch nicht worüber.“

Den lokalen Blättern geriet aus lauter Begeisterung, Pörtschach für zwei Tage als Nabel Europas beschreiben zu dürfen, einiges durcheinander. Die Neue Kärntner Zeitung etwa freute sich besonders über die Anwesenheit des „neuen deutschen Bundeskanzlers Herbert Schröder“. Gerhard nahm's gelassen, was vielleicht damit zu tun hat, daß er es auch nicht mögen wird, wenn man ihn künftig allzu häufig daran erinnert, wie er den Europäischen Rat der Regierungschefs gleich zweimal mit dem Europarat verwechselte, der in Straßburg sitzt und an EU-Veranstaltungen unschuldig ist. Ansonsten blieb der Niedersachse in Pörtschach eher zurückhaltend, was sich für einen Ehrengast auch ziemt. Schließlich ist er noch nicht Kanzler und durfte nur dabeisein, weil Kohl keine Lust mehr hatte. Aus Dankbarkeit verliehen die Regierungschefs dem abwesenden Oggersheimer den Titel „Europäischer Ehrenbürger“. Für die Rose vom Wörthersee kommt er deshalb nicht mehr in Frage, was die Chancen von Jose-Maria Gil Robles erheblich verbessert. Der Präsident des EU-Parlaments schob sich mit dem Vorschlag nach vorne, die Bürgernähe der EU durch eine Europasteuer zu stärken. Mit großer Heiterkeit sollen die Regierungschefs die unorthodoxe Idee aufgenommen haben, sich den Bürgern durch einen beherzten Griff in deren Taschen zu nähern. Immerhin hatte der Spanier damit als einer der wenigen das Hauptthema des Sondergipfels gestreift. Auf Drängen des scheidenden Bundeskanzlers hatten die Regierungen im Sommer beschlossen, sich Gedanken über mehr Bürgernähe zu machen.

Allerdings dachte Kohl dabei an einen Katalog, welche Kompetenzen die EU künftig wieder den Nationalstaaten überlassen sollte. Aber beim ersten Treffen ohne Kohl wollte sich niemand mehr so recht daran erinnern, wie überhaupt in Pörtschach der Eindruck entstand, daß der alte Bundeskanzler im Kreis der Regierungschefs weit einsamer war als gemeinhin angenommen. Nicht nur bei der Beschäftigungspolitik, auch zum Euro waren plötzlich überraschende Bekenntnisse zu hören. Selbst der konservative österreichische Außenminister Wolfgang Schüssel forderte, das Primat der Politik über das Geld wieder herzustellen.

Die Stimmung hat sich deutlich verändert. Selbst die letzten verbliebenen rein konservativen Regierungen aus Spanien und Irland hatten nichts einzuwenden, als der österreichische Kanzler und aktuelle EU-Ratspräsident Viktor Klima Kohls Konzept von der Bürgernähe auf den Kopf stellte. Den meisten dämmert inzwischen, daß es den Menschen vielleicht gar nicht so wichtig ist, ob die EU oder die nationale Regierung für die Tabakwerbung zuständig ist. Die Unzufriedenheit mit Europa, vermutet Klima, habe eher damit zu tun, daß die EU keine Antworten auf die brennendsten Probleme habe. Nicht nur in der Wirtschaftspolitik, auch in der Innen- und Außenpolitik steuern die EU-Chefs auf eine engere Zusammenarbeit zu. Sie wollen sich künftig öfter treffen, um beispielsweise die EU-Innenpolitik selbst in die Hand zu nehmen. Dahinter steht die Erkenntnis, daß die Innenminister, gewohnt, ihre Politik gegen heftige Widerstände verteidigen zu müssen, die eintrainierte Sturheit auch auf EU-Ebene nicht ablegen können. Allein für die Einigung auf einen gemeinsamen Visumstempel waren 32 Arbeitssitzungen nötig.

Für die Außenpolitik hatte die österreichische EU-Präsidentschaft eine besondere Lektion vorbereitet und Jassir Arafat einfliegen lassen. Der kam gerade von den Friedensverhandlungen in den USA zurück und braucht Geld. Zwei Milliarden Mark hat die EU für den Aufbau in Palästina bisher gezahlt, aber die politischen Fäden ziehen andere.

Bei einigen Regierungschefs war die Verzweiflung über die eigene Unfähigkeit doch zu spüren. Bereits vor dem Treffen hatte Britenpremier Tony Blair eine eigenständige EU-Verteidigungspolitik gefordert, um bei Konflikten wie im Kosovo auch ohne die USA handlungsfähig zu sein. Das steht zwar schon im Amsterdamer Vertrag, neu ist aber, daß London nun zu den treibenden Kräften gehören will. Britische Journalisten glauben, daß Blair bloß ein bißchen trompeten wollte, damit nicht alle nur auf Schröder schauen.