Albert Hefele
: Herr Hefele kriegt zwei Minuten

■ Eine Art milder Erpressung mit vorgehaltenem Würstchen

Wenn die Lichter in den großen Stadien verlöschen, wenn die Zuschauer erschöpft von der vielen frischen Luft, dem viel zu teuren Bier und dem ewigen Auf- und Ab der lästigen „Ola“ matt aus der Arena schleichen; wenn der Platzwart die Anzeigentafel ausknipst und die Tore in die Garage gefahren werden; wenn der Wind über die leeren Tribünen heult und zermanschte Papierbecher vor sich her treibt – dann... dann ist noch lange nicht Feierabend im Stadion. Dann geht es erst richtig los. Die Kinder sind im Bett, jetzt reden die Erwachsenen.

Die Erwachsenen treffen sich in einem Raum tief unter der Tribüne. Dort stehen Getränke auf dem Tisch, Kaffee wird gereicht und es locken belegte Brötchen, manchmal sogar Würstchen mit Kartoffelsalat. Je nach Anlaß und entsprechend dem Geldbeutel des jeweiligen Veranstalters. Der Raum tief unter der Tribüne ist in der Hauptsache angefüllt mit unrasierten Herren. Manchesmal sieht man einige wenige Damen. Marianne Kreutzer vom Bayrischen Rundfunk zum Beispiel – das ist die mit der Kieferstarre. Übrigens keine Zweideutigkeiten (im Clinton-Jahr sind solche Hinweise wohl angebracht), sondern eine rein funktionelle Feststellung. Die Herren sind sportlich gekleidet (Lederjacken und Trenchcoat) oder ganz in fein. Es ist noch nicht ganz raus, wie man sich zu kleiden hat, zum Anlaß sportlicher Berichterstattung.

Zu diesem Behufe sind die Herren, es handelt sich um Sportjournalisten, und die vereinzelten Damen nämlich hier. Deswegen müssen die meisten auch enthemmt rauchen. Alle Journalisten rauchen – die vom Sport ganz besonders. Das ist ein ehernes Gesetz, wer nicht raucht, mit dem stimmt was nicht. Wo war ich? Würstchen mit Kartoffelsalat... genau. Die und andere Leckereien gibt es nicht etwa ständig und immer, sondern nur anläßlich des wichtigen Ereignisses. Das wichtige Ereignis findet nach jedem Spiel, Rennen, Boxkampf statt. Es ist: die Pressekonferenz. Die Würstchen und die Getränke dienen natürlich dem Zweck, die anwesenden Raucher bzw. die Dame mit dem steifen Kiefer wohlmeinend zu stimmen. Eine Art milder Erpressung. Mit vorgehaltenem Würstchen, wenn man so will. Das funktioniert in gewissem Umfang, weil: Wes Brot ich ess', des Lied ich sing'.

Dermaßen erpreßt, bleibt den unrasierten Schreibern gar nichts anderes übrig, als sich demütig dem Tribunal zu stellen... hab' ich Tribunal gesagt? Es sieht natürlich nur so aus. Wenn die bedeutenden HohepriesterInnen der Leibesübungen aufmarschiert sind und die Bühne entern. Nur kurz und streng blicken sie auf die unten hinter ihrem Kugelschreiber Kauernden. Dann nehmen sie hoch oben auf dem Podest Platz. Dort wo das Licht der Scheinwerfer am hellsten ist. Dort, wo die buntflirrenden Insignien der Werbetreibenden wie aufdringliche Käfer auf jedem noch so kleinen Körper-, Kleidungs- und Mauervorsprung kleben. Dort läßt man sich bedeutsam nieder und wartet. Getränkeflankiert, vor den bunten Mikrofonsträußchen nachdenklich das Kinn auf der ringgeschmückten Faust lagernd bzw. in der unterarmgestützten Klammerhalte, läßt man den Blick müde über die Trenchcoats und Lederjacken gleiten.

Dann sagt einer was, meistens ist es der Trainer und es ist immer das gleiche: „Zuerst waren wir, dann die anderen... Pech... Glück... daran arbeiten... “. Einer fragt was: „Wie haben Sie sich gefühlt? Warum ist der oder die erst in der zweiten Halbzeit gekommen?“ Es ist so unendlich langweilig, daß man gar nicht hinhören mag.

Nie hat irgendjemand während einer Pressekonferenz eine wirkliche Neuigkeit erfahren. Etwas wirklich Brisantes. Trotzdem geht man immer wieder hin und hofft auf einen Glücksfall, wie den durchdrehenden Trapattoni. Trotzdem schreibt man immer wieder hastig in's Blöckchen, bzw. läßt sein albernes Tonbändchen laufen. Am nächsten Tag muß schließlich was in der Zeitung stehen.