Algerien solidarisch mit der Presse

Die wichtigsten unabhängigen Zeitungen des Landes dürfen nicht mehr erscheinen. Die meisten sozialen und politischen Gruppen demonstrieren für ihre Freiheit  ■ Aus Algier Reiner Wandler

„Ohne freie Presse werden wir weiterhin unter einer Dunstglocke leben“, ruft der ehemalige algerische Regierungschef Muhammad Redha Malek unter dem Applaus der Journalisten, die sich auf dem Hof des Pressehauses in Algier versammelt haben. Seit zwölf Tagen sind die sieben wichtigsten unabhängigen Tageszeitungen Algeriens nicht an den Kiosken zu haben. Herausgeber und die Journalistengewerkschaft SNJ protestieren gegen die Weigerung der staatlichen Monopoldruckereien, vier Zeitungen zu drucken, obwohl diese eine Ratenzahlung ihrer Schulden vereinbart hatten.

Vom Fraktionschef der Regierungspartei Nationaldemokratische Versammlung (RND) bis hin zu gemäßigten Islamisten und Trotzkisten, von Vertreterinnen der Frauenverbände bis hin zum Sprecher der Privatunternehmer, zeigte sich gestern vormittag das ganze politische und soziale Spektrum des Landes solidarisch mit der freien Presse.

„Die Entscheidung, uns nicht zu drucken, ist politisch motiviert“, beschwert sich der Chefredakteur der französischsprachigen El Watan, Redha Bekkaf. Sein Blatt hat maßgeblich die Skandale aufgedeckt, die zum Rücktritt des Präsidentenberaters Muhammad Betchine und von Justizminister Muhammad Adami beitrugen. „Dafür will uns die Regierung bestrafen“, ist sich Beffak sicher. Er hält Stallwache. Herausgeber Omar Belhouchet ist mit einer Delegation der Streikenden nach Paris und Brüssel gereist, um auf die Suspendierung aufmerksam zu machen.

Le Jeune Indépendent ist die einzige unabhängigen Tageszeitung, die weiterhin erscheint. Direktor Schafik Abdi will dies nicht als Streikbruch verstanden wissen, sondern „als unsere Art der Solidarität“. Es sei wichtig, über die Auseinandersetzung zwischen Presse und Staat zu berichten. Dem Blatt kommt dadurch immer mehr die Aufgabe eines Streikbulletins zu. Nachdem vergangenen Freitag eine Diskussionssendung zum Thema im staatlichen Radiosender Kanal III abgesetzt wurde, ist El Jeune Indépendent der einzige Ort, an dem Herausgeber und Journalisten der suspendierten Zeitungen zu Wort kommen.

„Wir sind frei und unabhängig, bis der belichtete Film die Redaktionsräume verläßt. Dann hängen wir vom Staat ab“, sagt Abdi. Die Herausgeber liebäugeln mit der Idee einer eigenen, unabhängigen Druckerei. Doch die benötigten Investitionen übersteigen ihre Möglichkeiten. Und durch die Ausdehnung des fünf Mal so großen Landes wie Frankreich ist es mit nur einem Druckzentrum nicht getan. Mindestens drei – in Algier, Constantine und Oran – müßten her. „Die Unesco hat mehrfach ihre Hilfe angeboten. Doch die Regierung möchte davon nichts wissen“, beschwert sich Abdi. „Und von den für dieses Jahr versprochenen indirekten Subventionen für die unabhängige Presse in Höhe von 40 Millionen Dinar (1,3 Millionen Mark) haben wir noch keinen Centime gesehen.“

Auch beim überlebensnotwendigen Anzeigengeschäft bekommen es die Herausgeber mit dem Staat zu tun. „90 Prozent der Werbung öffentlicher Unternehmen und der Verwaltung werden über das staatliche Werbemonopol Anap vergeben“, beschwert sich El Watan-Chefredakteur Bekkaf. Während das ehemalige Einheitsblatt El Moudjahid täglich bis zu acht Seiten mit institutionellen Anzeigen füllt, hat El Watan seit 1996 kein Inserat aus diesem Pool erhalten.