Aufstieg aus der dritten Liga

Die Ministerien wurden übergeben. Die Neuen waren sittsam  ■ Von Constanze v. Bullion

Bonn (taz) – Endlich Herzklopfen. Endlich ein paar Gesichter, die blaß um die Nase werden. Dabei ärgert Andrea Fischer sich vermutlich schwarz, daß ihr für den Bruchteil einer Sekunde die Spucke wegbleibt und sie wie ein Schulmädchen klingt, als sie den Amtseid schwört.

Als einzige Bündnisgrüne tritt die künftige Gesundheitsministerin vor versammeltem Bundestag mit „so wahr mir Gott helfe“ an. Und als einzige läßt sie das Publikum ahnen, daß sich hier in atemberaubendem Tempo etwas wirklich Neues anbahnt.

Die Formeln von der „neuen Ära“, vom „Zeitenwechsel“ und dem „Aufbruch“ in die Berliner Republik klingen abgedroschen, obwohl sie erst wenige Wochen alt sind. Daß sich doch etwas tun könnte in Köpfen und Amtsstuben, war gestern in Bonn mit Händen zu greifen. Endlich. 15 neue Minister und Ministerinnen traten zur Amtsübergabe an. In 15 Häusern sind Hunderte von Mitarbeitern zusammengelaufen, um die Neuen zu beäugen. Mulmig dürfte es etlichen geworden sein.

„Das Leben geht weiter“, ruft ein tapferer Baldur Wagner den Kollegen im Gesundheitsministerium entgegen. Das Haus, das der mächtigen Pharmalobby die Stirn bieten muß, brauche eine „durchsetzungsstarke Leitung“, mahnt der ausrangierte Staatssekretär. Viel Skepsis sickert da zwischen freundlichen Worten durch, Andrea Fischer tritt kein einfaches Erbe an. Leicht aber wird der Wechsel auch Horst Seehofer nicht, dem seine launige Rede plötzlich Tränen in die Augen treibt. Bayern sei in der Bundesliga an der Spitze, witzelt der bayrische Hausherr. Auch ohne ihn müsse das Ministerium „in der ersten Liga“ mitspielen.

„Selbst aus der zweiten und dritten Liga ist der Aufstieg möglich“, schmettert ihm eine gar nicht mehr atemlose Andrea Fischer entgegen. Eine ehemalige Trotzkistin steht da vorne. Eine, deren Mutter bei der Caritas und deren Vater bei der CDU war. Die den lieben Gott beim Schwur nicht auslassen wollte und jetzt ziemlich genau da angekommen ist, wo ihre Eltern sie hinhaben wollten. Mit „allem Respekt“ trete sie an. Mit Dank für die „faire Art der Amtsübergabe“. Und mit dem Versprechen, „dem vorbildlichen Führungsstil des Herrn Minister Seehofer nachzufolgen“.

Mehr können die Ministerialräte beim besten Willen nicht verlangen. Daß trotzdem alles anders kommen könnte, als ihnen lieb ist, befürchten vor allem ältere Hasen. Von einem „tiefen Einschnitt“ und „schmerzhaften Umschichtungen“ grault sich ein langjähriger Mitarbeiter des Innenministeriums. Erstmals in der Geschichte der Republik landet ein Sozi hier auf dem Chefsessel. Einer, der mal Terroristen verteidigt hat und – ohne Gottes Hilfe – die Ordnungshüter des Staates auf Vordermann bringen will.

Etwas indigniert sehen sie aus, die Herrschaften in Uniform, die sich im Innenministerium drängen. Der Neue spricht nicht nur von internationaler Sicherheitskoordination, sondern auch von schönen Künsten. „Wer Musikschulen schließt, schadet der Inneren Sicherheit“, verkündet Otto Schily und spielt darauf an, daß die Kulturabteilung ins Kanzleramt wandert. Etwas sonderlich mag der anthroposophische Hausherr in dieser nüchternen Umgebung wirken. Doch der rote Wadlbeißer kommt keineswegs allen ungelegen. „Ein bißchen frischer Wind schadet dem Haus gar nicht“, freut sich ein Mitarbeiter. „Der Schily ist vielen Kollegen deutlich lieber als mancher andere“, beruhigt sich Ex- Staatssekretär Hans Neusel.

Das Haus außen rotgrün anstreichen, aber innen alles beim alten lassen? Daß seine 8.878 Schäfchen im In- und Ausland nicht ungeschoren bleiben, läßt der neue Außenminister seine Mitarbeiter gleich beim Amtsantritt wissen. „Ich streite mich gern“, ruft ein gutgelaunter Joschka Fischer in den überfüllten Weltsaal des Auswärtigen Amtes. Viele junge Gesichter schauen ihm hier erwartungsvoll entgegen. Viele wollen nach Jahren unter fader FDP- Herrschaft endlich etwas werden und brennen darauf, in unruhigere Berliner Zeiten aufzubrechen.

Der Neue will sie nicht aufhalten. Vor gekreuzten Fahnen steht er da, in seinem kleinen, feinen Anzug. Joseph Fischer, Sohn einer frommen Christin und Ex-Querulant. Am Vortag, beim Schwur, ließ er den Herrgott noch außen vor. Aber Gedanken macht er sich offenbar doch über den ausgeschlagenen Segen – und steigt mit Luther in die Antrittsrede ein. „Mönchlein, Mönchlein, du gehst einen schweren Gang“, habe der Kirchenrebell gemurmelt, als er zum Wormser Dom lief, um seine ketzerischen Thesen anzuschlagen. Ein gottgefälliges Mönchsleben führe er ohnehin längst, versichert Fischer. „Und schwere Gänge sind mir vertraut.“

Daß Luther am Ende ganz groß rauskam, versteht sich von selbst. Selbstbewußt tritt Fischer hier auf, getragen von freundlichem Applaus startet er zum Sprint durch die Zukunft. Außenpolitischer Kontinuität, einer Frischzellenkur für die deutsch-französischen Beziehungen und der „Vollendung des europäischen Einigungsprozesses“ hat er sich verschrieben. „Visionen“ seien gefragt, auch von den Mitarbeitern. „Ich bin ein Mensch, der gerne rennt. Der auch mal laut wird“, kündigt Fischer an. „Und ich möchte, daß diskutiert wird.“

Wie sich das Diskutieren anhört, weiß Manfred Diekert nur zu gut. Seit 22 Jahren kutschiert er Außenminister, erträgt klaglos zerfledderte Aktenstapel und pausenlose Telefonate im Fond seines Wagens. Jetzt hat er die gepanzerte Limousine mit den schwarzen Vorhängen für Joschka Fischer vorgefahren.

Fragt man ihn, ob er traurig sei, nicht mehr Klaus Kinkel zu chauffieren, sagt er „Och“ und zuckt mit den Schultern. Hauptsache, der grüne Minister hat nichts dagegen, „daß mal riskant überholt wird, wenn man einen Termin hat“.