Kommentar
: Gerechtigkeit?

■ Haftbefehl gegen Chiles Ex-Diktator Pinochet in London aufgehoben

Das höchste Londoner Zivilgericht hat entschieden, daß der Haftbefehl gegen den chilenischen Ex-Diktator Augusto Pinochet wegen der Immunität, die er sich selber angemaßt hat, aufgehoben wird. Freilich bleibt die Möglichkeit einer Revision gegen dieses Urteil. Und damit auch die Chance, daß Pinochet verurteilt wird.

Unter dem Titel „Ego sum Pinochet“ (Ich bin Pinochet) haben die Journalistinnen Raquel Correa und Elizabeth Subercaseaux Ende 1989 eine Serie von Gesprächen veröffentlicht, die sie mit dem General kurz vor dem Ende der Diktatur führten. Sie haben auch nach den Menschenrechtsverletzungen und der Verantwortung dafür gefragt.

Die Antworten des Ex-Diktators Pinochet sind ein Documentum humanum, ein Zeugnis, das zeigt, zu welchen Verdrängungen, Ausflüchten, Rationalisierungen und Gegenangriffen Menschen fähig sein können, wenn sie mit ihren Untaten konfrontiert werden. Sie verdeutlichen die psychischen Mechanismen, die es Pinochet ermöglichen, ein ruhiges Gewissen zu haben und zu glauben, daß er von allen in der Welt so freundlich empfangen würde, wie er das von Franz Josef Strauß oder Margaret Thatcher erwarten durfte.

Die Botschaft Pinochets lautete: Ich habe nichts oder fast nichts gewußt. Wo Übergriffe geschehen sind, ist es die Schuld untergeordneter Stellen, für die ich keine Verantwortung trage. Die meisten Sachen, die berichtet werden, sind Märchen. Wenn tatsächlich etwas geschehen ist, dann im Kampf, den man nicht kontrollieren kann. Die Dinge, die man uns vorwirft, haben in Wirklichkeit unsere Gegner begangen. Die Menschenrechtsfrage ist Produkt einer Kampagne, die schon am Tag des Putsches gegen uns gestartet wurde. Deshalb habe ich ein reines Gewissen.

Weil er sich selbst ein Amnestiegesetz maßgeschneidert hatte, weil er sich das Amt eines Senators auf Lebenszeit ergaunert hatte und weil er sich einen Diplomatenpaß besorgt hatte, glaubte er, er könnte in aller Welt ungestört herumreisen. Aber selbst wenn die Justiz nun keinen Zugriff mehr auf ihn erhielte – etwas hat sich mit der zeitweiligen Verhaftung Pinochets geändert. Die Diktatoren dieser Welt müßten nachdenklich werden. Mit einem unbehelligten Lebensabend können sie nicht mehr selbstverständlich rechnen. Urs Müller-Plantenberg

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Dozent für Soziologie an der FU Berlin