■ Bei Ministers zu Haus (11) – Die Heime unserer neuen Regierung
: So wahr mir Gott helfe

In Bonn gibt es viele neue Minister. Aber wo kommen sie her, und wie sieht es bei ihnen zu Hause aus? In unserer Serie inspizieren wir heute die Wohnung von Gesundheitsministerin Andrea Fischer.

Einen Besuchstermin auszumachen sei derzeit nicht möglich, hieß es zunächst aus Andrea Fischers Bonner Büro: „Jede Minute ist verplant.“ Einen Tag später der Rückruf: Die Gesundheitsministerin übernachte nach einem Gespräch mit Vertretern der Bundesärztekammer von Samstag auf Sonntag in ihrem Haus in Berlin. „Sie können um 21 Uhr vorbeikommen.“

Andrea Fischer ist trotz vorgerückter Stunde gut aufgelegt. „Sie arbeiten ja fast so lange wie ich“, sagt sie lachend zur Begrüßung und fügt hinzu, daß sie sich schon sehr auf den Umzug des Bundestags nach Berlin freue. „Schon als Studentin bin immer mit dem Fahrrad zur Uni gefahren. Ich habe nämlich an der FU Volkswirtschaft studiert – ich kenne mich aus in der Stadt!“ Die Ministerin bittet ins Wohnzimmer, wo ein offener Kamin behagliche Wärme verbreitet. Die Wände sind mit dunklen Holzbalken verkleidet und auch der knarrende Dielenboden verbreitet eine heimelige Grillhüttenatmosphäre. Kerzenlicht scheint die erste grüne Ministerin dem elektrischen vorzuziehen. Am klobigen Holztisch serviert sie Leberwurstbrote, Lebkuchen und Glühwein. „Komm, Herr Jesus, sei unser Gast und segne uns, was du uns bescheret hast“, murmelt Fischer und greift zu. „Das liebe ich“, sagt sie und beißt lustvoll in ein Leberwurstbrot, „bei den ganzen Empfängen und Konferenzen gibt es doch immer nur das gleiche.“

Zufrieden kauend streicht sich Fischer ab und zu einige Leberwurstbröckchen von der violetten Strickjacke und schaut auf die zahlreichen an der Wand befestigten Jagdtrophäen: Hirschgeweihe, ein Fuchskopf und einige ausgestopfte Hasen. „Nein, selbst geschossen habe ich die nicht“, gluckst sie und nimmt einen kräftigen Schluck Glühwein, „die habe ich alle von Vati, äh, meinem Vater – der ist in meiner Heimatstadt Arnsberg in der CDU und geht ab und zu auf die Jagd.“ Die Wurstbrote sind gegessen. Andrea Fischer legt einige Holzscheite nach. „Kommen Sie, setzen wir uns vor den Kamin.“

Auf dem Holzfußboden liegt ein Eisbärenfell. „Das habe ich mir selbst gekauft“, sagt Fischer und macht es sich mit einigen Kissen und dem Wein auf dem Fell bequem. „So etwas hat Vati noch nie vor die Flinte bekommen.“ Stumm glotzt von der Wand über der Kaminöffnung ein ausgestopfter Rehkopf. „Hab Sonne im Herzen, ob's stürmt oder schneit / ob der Himmel von Wolken, die Erd' voller Streit“, steht daneben auf einem blumenverzierten Holzherz.

Fischer stochert etwas in der Glut und knöpft sich die Strickjacke auf. „Das Feuer knackt als wär' es echt“, summt sie vor sich hin, um die Situation etwas aufzulockern. Fischer ist mit ihren Gedanken ganz woanders. „Wenn Vati nicht immer so gut zu mir gewesen wäre, stünde ich heute nicht da, wo ich bin“, sagt Fischer und streicht versonnen durch das Eisbärenfell. „Wie oft hat er mich in Arnsberg zum Reitstall gefahren! Zu meinem Isländerpony Enrico!“ Mit glänzenden Augen erzählt Fischer vom Ausmisten des Stalls, den weichen Nüstern des Pferdes und vom wilden Galopp über Arnsberger Feldwege. „Als Gesundheitsministerin“, seufzt sie, „werde ich dafür sorgen, daß therapeutisches Reiten von den Krankenkassen bezahlt wird – so wahr mir Gott helfe.“

Erschöpft schaut sie zum Kaminsims, auf dem ein Foto von Enrico sowie ein von zwei Mardern flankiertes Christusbild stehen. Es wird Zeit zu gehen. Taktvoll ziehen wir uns zurück. Wie es der Zufall will, finden wir den Ausgang nicht sofort und werden so Zeuge einer anrührenden Szene: „Ich bin klein, mein Herz ist rein, soll niemand drin wohnen als Jesus allein“, flüstert Ministerin Fischer, die wir durch den Türspalt mit gefalteten Händen auf dem Eisbärenfell vor dem Kamin knien sehen. Matthias Thieme