Kalte Abschiebung vom Sozialamt

Nach der Änderung des Asylbewerberleistungsgesetzes verweigern Berliner Sozialämter immer mehr Flüchtlingen die Sozialhilfe, um sie zur Ausreise zu drängen  ■ Von Vera Gaserow

Berliner Sozialämter drängen immer mehr Flüchtlinge durch den Entzug von Sozialleistungen zur Rückkehr. Allein bei den Flüchtlingsberatungsstellen der Stadt sind inzwischen rund einhundert Fälle aktenkundig, in denen die Ämter auch minimale Grundleistungen für Unterkunft und Verpflegung verweigern oder deren bevorstehenden Entzug ankündigen. „In den nächsten Wochen“, so fürchten die Berater, „wird eine ganze Welle auf uns zurollen.“ Betroffen von diesem Hinauswurf mit sozialrechtlichen Mitteln sind in erster Linie neu einreisende Flüchtlinge, die aus humanitären oder technischen Gründen nicht abgeschoben werden können, darunter vor allem Familien aus dem Kosovo.

Doch auch bereits länger in Deutschland lebenden Flüchtlingen droht diese „kalte“ Abschiebung. Dem Bosnier Hazim S. etwa, einem psychisch gebrochenen Mann aus Srebenica, beschied das Sozialamt jetzt: Wenn er bis zum 16. November seiner „Mitwirkungspflicht“ nicht nachkomme, bestehe kein Anspruch mehr auf Sozialleistungen. S. habe unverzüglich einen Antrag auf Rückkehrhilfe zu stellen, schrieb das Sozialamt, und seinen „frühestmöglichen Rückkehrtermin ins Heimatland nachzuweisen“.

Ratlose Flüchtlingsberater schlagen inzwischen Alarm: Durch die Mittel- und Obdachlosigkeit würden die Betroffenen in den Untergrund abgeschoben. Längst stecken auch die Träger der Wohnheime im Konflikt. Weil die Kosten für Unterkunft und Verpflegung nicht mehr übernommen werden, müssen sie etliche ihrer Bewohner früher oder später auf die Straße setzen.

Rechtliche Handhabe für „kalte Abschiebung“ ist die umstrittene Verschärfung des Asylbewerberleistungsgesetzes, die seit dem 1. September gilt und an der auch die rot-grüne Bundesregierung keine Änderungen plant. Zwei Gruppen von Flüchtlingen fallen unter die Leistungseinschränkungen: Wer nach Deutschland kommt, um Sozialleistungen zu erlangen, und wer seine Abschiebung „durch von ihm zu vertretende Maßnahmen“ verhindert, bekommt nur noch die „unabweisbar gebotene“ Unterstützung.

Andere Bundesländer sehen darin die Handhabe, den Flüchtlingen das monatliche Taschengeld zu streichen. Berlin jedoch legt das Gesetz so aus, wie Experten befürchtet hatten: Als „unabweisbar gebotene“ gelten nach einem Rundschreiben der Berliner Sozialverwaltung grundsätzlich nur noch „die Reise- und Verpflegungskosten für die Ausreise bis zum Zielort“. Zur Verhinderung von Obdachlosigkeit zahlen die Ämter für maximal drei Übernachtungen in einer Sammelunterkunft, längstens bis zum frühestmöglichen Ausreise.

Die Termine dafür legen etliche Sozialämter selber fest, ganz so, als seien sie die Ausländerbehörde: „Dieser Zeitraum“, so heißt es im Formblatt mit einer handschriftlich eingetragenen Dreiwochenfrist, „ist ausreichend lang, um alle persönlichen und behördlichen Angelegenheiten vor der Ausreise klären zu können.“ Wer dennoch bleibt, hat jede Hilfe verwirkt.

Oft werden die Flüchtlinge pauschal einer der beiden Gruppen zugeordnet: Allein die Einreise über ein Drittland gilt einigen Ämtern als Beweis, jemand sei nur wegen der Sozialhilfe nach Deutschland gekommen. „Ihre Erklärung, aus Furcht vor der Einberufung in die Armee geflüchtet zu sein und wegen der allgemeinen Diskriminierung das Land verlassen zu haben, mag zwar zutreffen“, bescheinigt etwa das Sozialamt Mitte einem Flüchtling aus der Republik Jugoslawien, „doch prägend für Ihren Einreiseentschluß war (...) die Aussicht auf die Inanspruchnahme von Sozialleistungen.“

Auch wer mit einem Stempel der Ausländerbehörde „Identität ungeklärt“ vorspricht, steht unter Generalverdacht. Der Vermerk signalisiert: Hier will jemand seine Abschiebung sabotieren. Doch den Stempel erhält auch, wer zweifelsfrei erkennungsdienstlich registriert ist, aber sich vergeblich bei seinen Botschaften um Reisedokumente bemüht, wie etwa Palästinener aus dem Libanon.

Zynisch klingt die Unterstellung, sie würden ihre Rückkehr grundlos sabotieren, vor allem bei Flüchtlingen aus dem Kosovo. Denn selbst der nicht zimperliche Berliner Innensenator Jörg Schönbohm (CDU) hat Abschiebungen in die Krisenregion ausgesetzt.

Das Berliner Verwaltungsgericht hat der Praxis der Sozialämter inzwischen grundsätzlich widersprochen. Das Sozialamt im Stadtbezirk Mitte hatte einem Palästinenser lediglich Unterkunft und Verpflegung bereitgestellt, aber Bargeld verweigert. Weil er sich nicht ausweisen konnte, so die Begründung, sei nicht auszuschließen, daß der Mann unter mehreren Identitäten Leistungen von verschiedenen Ämtern beziehen würde. Der Identitätsnachweis durch einen Paß sei aber kein alleiniges Kriterium für die Gewährung von Sozialhilfe, widersprachen die Richter. Vielmehr müsse das Sozialamt konkrete Anhaltspunkte für einen Mehrfachbezug nachweisen.

KÜrzlich, so berichtet eine Asylberaterin, habe sie einen Sozialamtssachbearbeiter erbost gefragt: Wovon sollen Flüchtlinge, die nicht arbeiten dürfen, aber auch faktisch nicht ausreisen können, denn leben? Die Antwort war knapp: „Von Luft und Liebe.“