"Meine Ideen haben physische Konsequenzen"

■ Wie fühlt es sich an, wenn ein anderer Mensch im eigenen Körper ist? Stelarc läßt seine Gliedmaßen über Internet vom Publikum am Rechner steuern. Ein Gespräch mit dem australischen Performancekün

taz: Stelarc, Sie haben sich in den vergangenen Jahren einen Namen in der Medienkunstszene durch Performances gemacht, bei denen Sie sich an Industrieroboter, an Computer oder auch ans Internet angeschlossen haben. Können Sie eine Ihrer Performances, zum Beispiel die Performance „Parasite“, beschreiben?

Stelarc: Im Zentrum von „Parasite“ steht eine Suchmaschine, die während des Events das Internet nach Bildern vom Körper durchsucht und diese als Projektion an der Wand hinter mir zeigt. Diese Bilddateien werden dazu benutzt, um meine Muskeln elektronisch zu stimulieren, und sie rufen dadurch unfreiwillige Bewegungen hervor. Das Internet fungiert als ein etwas krudes, externes Nervensystem. Und der Körper verschmilzt mit den Internetbildern.

Woran können die Betrachter sehen, daß Sie physisch mit dem Internet verbunden sind?

Das hängt davon ab, wie stark die Spannung ist. Wenn man auf mein Gesicht achtet, sieht man, daß ich manchmal Grimassen schneide, weil die Stimulation sehr stark ist. Bei niedriger Spannung steuert es den Körper – man fühlt, wie man sich bewegt, ohne etwas dagegen tun zu können.

Das sieht ein bißchen wie Tai- chi aus...

Das liegt wahrscheinlich daran, daß ich die Elektroden am Bizeps und an den Deltamuskeln habe. Wenn ich die Elektroden woanders anbringen würde, würde ich mich auch anders bewegen. Es ist ein Problem bei dieser Performance, daß man nicht richtig erkennen kann, was genau passiert und wie es passiert. Als ich zum Beispiel die „Suspension events“ gemacht habe, bei denen ich Fäden durch meine Haut ziehen ließ, an denen ich aufgehängt wurde, konnte man die Haken in meiner Haut sehen. Diese Erfahrung kann man sich vorstellen. Jeder weiß, wie es sich anfühlt, wenn man etwas in die Haut gesteckt bekommt. Aber hier gibt es nur diese Kabel, und der Zuschauer kann sich die technischen Vorgänge nicht wirklich vorstellen. Es ist ein Unterschied, wie jemandem bei Yoga zuzusehen oder selbst Yoga zu machen. Aber wenn ich Sie anschließen würde, würden Sie sich genauso bewegen.

Danke, im Augenblick nicht. Macht es denn überhaupt einen Unterschied, ob Sie wirklich elektrische Schläge bekommen? Für das Publikum spielt es doch eigentlich keine Rolle, ob Sie wirklich physische Schmerzen empfinden oder ob Sie nur so tun...

Na ja, ich denke, die Frage ist, ob man Theater spielen will und nur simuliert, oder ob man – wie ich es bei allen meinen Performances getan habe – die direkte physische Erfahrung haben will. Meine Ideen haben physische Konsequenzen. Ich habe kein Interesse an Science-fiction oder am Theaterspielen, weil das für mich keine authentischen Erfahrungen sind. Für mich ist es sehr wichtig, daß die Erfahrung direkt ist und körperliche Auswirkungen hat.

Bei meinen Vorträgen schließe ich manchmal drei oder vier Leute aus dem Publikum an, damit man sehen kann, daß sich andere auf dieselbe Art und Weise bewegen. Ein Zuschauer kann sich diese Erfahrung nicht so leicht vorstellen. Ich glaube, daß sich das Publikum in den letzten Jahren an eine Art Interaktivität gewöhnt hat und eigene Erfahrungen erwartet. Bei vielen Performances ist das möglich, aber bei manchen nicht. Ich habe zum Beispiel eine Skulptur im Inneren meines Körpers gemacht. Das war ein elektronisches Objekt, das 40 Zentimeter lang war – wir haben ein Video davon gemacht. Würden andere Leute gerne diese Performance machen? Vielleicht versteht man nicht, daß es körperlich sehr hart ist, weil man keine Haken und keine Pyrotechnik sieht.

Das heißt, es ist für Sie wichtig, das zu spüren, was Sie tun, auch wenn es weh tut?

Es gibt immer Sachen, die in einem gewissen Maß körperlich anstrengend sind. Wenn man ein Sportler ist, muß man auch seinen Körper trainieren, und es gibt die Möglichkeit, daß man sich körperlich in Gefahr bringt. Ich finde, daß es eine faszinierende Möglichkeit ist, vom Internet bewegt zu werden oder sich körperlich mit anderen Körpern in Verbindung zu setzen und mit ihnen zu interagieren, obwohl man räumlich getrennt ist.

In Ihren Performances erscheinen Sie selbst als ein Subjekt von Technologie. Es scheint, als wollten Sie nicht zeigen, wie Technologie aktiv von den Leuten angewendet wird, sondern wie Technologie die Menschen benutzt.

Das finde ich nicht, denn bei den Performances geht es weniger um den Körper als Automaten, sondern eher um das Konzept eines geteilten Körpers, von fraktalem Fleisch. Die eine Hälfte meines Körpers wird unter Strom gesetzt, was zu unfreiwilligen Bewegungen führt. Mein rechtes Bein wird übrigens nicht elektrisch stimuliert, weil ich das zum Balancieren brauche. Mit der anderen Hälfte meines Körpers bediene ich meine Dritte Hand.

Was ist das?

Die Dritte Hand ist eine Prothese, die ich direkt kontrollieren kann, aber gleichzeitig können andere Leute meinen Arm „betreten“ und von einem anderen Ort aus bewegen. Wenn Sie also hier sind und ich in Melbourne, Australia, dann gibt es ein Interface an Ihrem Computer mit einem Empfänger/Stimulierungs-System. Sie machen hier eine Bewegung, und ich führe sie dort aus. So kann man einen Körper von einem anderen Ort aus manipulieren. Bei meiner Internet-Performance „Fractal Flesh“ konnte ich die Gesichter der Leute sehen, die mich online über ein Touch-Screen-Interface bewegten – und die Leute konnten meine unfreiwilligen Bewegungen beobachten.

Wie fühlt es sich an, wenn ein anderer Mensch im eigenen Körper ist?

Einerseits ist es nur eine elektrische Stimulation. Aber wenn man das Gesicht der Person sieht, die einen bewegt, dann assoziiert man natürlich dieses Gesicht mit den eigenen Bewegungen. Man weiß, daß es ein anderer Körper an einem anderen Ort ist.

Haben Sie sich diesem „Körper“ ausgeliefert gefühlt?

Nein, denn es ist ja keine Maschine, mit der Kontrolle oder Folter ausgeübt werden soll. Man kann sich natürlich alle möglichen gemeinen militärischen und Sado- Maso-Sachen vorstellen, die man mit so einer Maschine tun könnte. Aber das hier ist Kunst, und da können Virtual-Reality-Systeme auch als Werkzeuge benutzt werden, um das Ich und den Körper zu erforschen.

Gibt es einen Teil Ihres Körpers, den Sie nicht an irgend etwas anschließen würden?

Ich könnte mir ein paar Teile vorstellen, von denen ich jetzt besser nicht sprechen sollte (lacht). Der Grund, warum ich meinen Körper an das Internet anschließe oder mit dem Dritten Arm arbeite, ist, daß das Möglichkeiten sind, die noch nicht erprobt worden sind, die aber plausibel und auf dem neuesten Stand der Technik sind. Ich habe gesagt, daß der Körper überflüssig geworden ist. Aber das heißt nicht, daß ich den Körper ablehne.

Ich glaube bloß, daß wir uns mit einem intensiven Umfeld aus Daten umgeben haben, die unserer subjektiven Erfahrung vollkommen fremd sind. Wir haben eine Welt aus präzisen, mächtigen und schnellen Maschinen geschaffen, deren Funktionstüchtigkeit die des Körpers bei weitem übertrifft. Es gibt inzwischen Computer, die besser Schach spielen können als ein Schachweltmeister. Der Körper findet sich in einer fremden Welt wieder, für die er biologisch überhaupt nicht eingerichtet ist. Aus diesem Grund ist der Körper obsolet geworden. Und ich frage mich, ob wir diesen evolutionären Status quo akzeptieren wollen. Wollen wir uns mit dem willkürlichen Design des Körpers abfinden? Oder wollen wir ihn neu konstruieren, neu designen und auch neu verkabeln?

Haben Sie durch Ihre Performances Ihrem Körper bleibende Schäden zugefügt?

Der einzige Effekt, den ich bis jetzt festgestellt habe, ist ein unübersehbarer Haarausfall (lacht). Nein, eigentlich nicht. Wir alle altern und unser Körper verfällt. Ich rauche halt nicht, dafür knalle ich mich mit Elektrizität zu.

Haben Sie medizinische Berater für Ihre Performances?

Ich versuche immer, medizinischen Rat einzuholen. Aber bei der „Internal Sculpture“, bei der ich ein Endoskop in meinen Bauch eingeführt habe, so daß das Publikum das Innere meines Körpers sehen konnte, wollte mir kein Arzt helfen. Das mußte ich selbst machen, ohne Betäubungsmittel.

Wie würde das Publikum reagieren, wenn Sie während einer Performance plötzlich sterben würden?

Ich denke, unser Leben ist so schon kurz genug. Wir haben eine Lebenserwartung von vielleicht 70 Jahren, und ich bin schon 50 (lacht). Aber ich versuche nie, etwas zu machen, das vorsätzlich selbstzerstörerisch oder gar tödlich sein könnte. Ich habe schon von Snuff Movies gehört, in denen Leute vor laufender Kamera ermordet werden, aber noch nicht von Snuff Performances. Interview: Tilman Baumgärtel

Stelarc wird vom 5.–7.11. und vom 12.–14.11. in der Hamburger Kunstfabrik Kampnagel seine Performance „Exoskeleton – Event for Amplified Body and Walking Machine“ zeigen. Stelarcs Website ist zu finden unter der Adresse http://www.stelarc.va.com.au