Auf den Tastenburgen

Der kubanische Pianist Chucho Valdés widmet sich Latin Jazz mit dem Besteck vom großen John Coltrane  ■ Von Christoph Twickel

hachachá mit Vocoder? Son mit Slap-Bass und Yamaha DX7? „Pfui!," werden die Freunde kubanischer Klänge dazu sagen. In den goldigen Achtzigern aber hatte jeder deutsche Cuba-Urlauber mindestens einen Tonträger dieser Sorte im Gepäck: Los Van Van, Pablo Milanés oder Irakere waren weiland der heißeste Scheiss zwischen Havanna und Santiago. Fusion hieß das in unseren Breitengraden, „Prozess der Erneuerung des Son" in der sozialistischen Karibik, undIrakere-Bandleader Jesús „Chucho" Valdés war seit der Gründung der Band im Jahre 1974 der Mann mit der höchsten Tastenburg.

Ganz anders als in der Salsa-Hochburg New York, wo exilierte kubanische Musiker möglichst típico klingen wollten, war auf Kuba selbst eine Melange aus tradierten Stilen und Jazzfunk das angesagte Ding. Ein Livealbum von Irakere, aufgenommen während zweier Auftritte in New York und Montreux, heimste 1978 den ersten Grammy für eine auf Kuba ansässige Band ein. Heute herrscht längst doppelte Buchführung in Sachen Son: In Europa hat die nostalgische Umsetzung der alten Traditionen den höchsten Marktwert, auf Kuba hingegen ist „Timba" angesagt, ein Genre, das in der Tradition von Irakere und Los Van Van den kubanischen Bigbandsound mit Scat-Einlagen, Sprechchören und haufenweise Keyboard fusioniert.

Chucho Valdés kann sowieso alles: Mit Irakere bewährt er sich weiterhin als Timba-Urvater, mit Altstars wie Tata Guines oder Orlando Lopez „Cachaíto" spielt er als „Tumbao All Stars" gediegene descargas ein, ein Art kubanischen Jam. Und für Blue Note gab er kürzlich den Latin Jazz-Virtuosen: Das Album Bele Bele en La Habana ist eine Hommage an die Ära des Cubop, an die Improvisationskunst der großen Pianisten der 40er wie Pedro Justíz „Peruchin", George Shearing und nicht zuletzt Chucho's Vater Bebo Valdés, der 1948 musikalischer Direktor der legendären „Tropicana“-Shows in Havanna war und 1952 eine der ersten New Yorker Jam-Sessions von kubanischen und US-amerikanischen Musikern produzierte.

Wer allerdings Museales erwartet, wird enttäuscht: Das Quartett mit Chucho Valdés am Piano, Alain Pérez Rodriguez am Bass, Roberto Vizaíno Guillot an der Perkussion und Raúl Piñeda Roque am Schlagzeug läßt bei seinem rasanten Improvisationsritt durch Klassiker wie „El Cumbanchero" oder „Tres Lindas Cubanas" nicht mehr als vereinzelte Melodiebögen stehen. Valdés widmet sich dem Latin Jazz sozusagen aus der Post-Bop-Perspektive, ausgerüstet mit dem ästhetischen Besteck von Bill Evans, John Coltrane oder Cecil Taylor. Da wird ein Midtempo-Genre wie der gute alte son montuno auf Hochgeschwindigkeit gebürstet, mit bretternden Drumsoli getuned und mündet dann in freien Pianokaskaden.

Hoffen wir, daß sich der Meister am Mittwoch abend auch noch der Tänzer besinnt. Denn diese sind, wie es so schön heißt, das Rückgrat der kubanischen Musik.

Mi, 11. November, 21 Uhr, Fabrik