■ Filmstarts à la carte: Mönche beim Pokern
Back to the roots: Gegen Ende seiner Karriere kehrte Luis Buñuel verstärkt zu seinen surrealistischen Anfängen zurück. Wie in seinem berühmten Debütfilm „Ein andalusischer Hund“ aus dem Jahr 1928 erzählt der spanische Regisseur auch in der 1974 entstandenen französischen Produktion „Das Gespenst der Freiheit“ keine durchgehende Geschichte. In nur locker miteinander verbundenen Episoden hält Buñuel der ihm verhaßten Bourgeoisie den Spiegel vor, indem er ihre Rituale ins Gegenteil verkehrt: Eine Abendgesellschaft begibt sich zu Tisch – keineswegs jedoch zum Essen. Die Gäste nehmen Platz auf einem Klosett, ungezwungen plaudert man über die Produktion menschlicher Exkremente („Zehn Millionen Tonnen täglich“). Ein kleines Mädchen, das plötzlich ein Hungergefühl äußert, wird mit der Phrase „So etwas sagt man doch nicht bei Tisch, das gehört sich nicht“ zurechtgewiesen. Nach dem Spülen fragt ein Gast das Hausmädchen verschämt nach dem Speisezimmer: Selbiges stellt sich als ungemütliche kleine Kammer am hinteren Ende des Korridors heraus.
In einer anderen Episode spielt Buñuel mit der Erwartungshaltung des Zuschauers: Heimlich verschenkt ein Mann im Park Fotografien an zwei kleine Mädchen und schärft ihnen ein, diese niemals den Erwachsenen zu zeigen. Doch bereits in der nächsten Szene regen sich die Eltern eines Mädchens furchtbar über die „widerwärtigen und obszönen“ Bilder auf und entlassen das unaufmerksame Kindermädchen. Als man die vermeintlich pornographischen Fotos endlich zu sehen bekommt, stellen sie sich als Ansichtskarten der Sehenswürdigkeiten von Paris heraus.
Natürlich finden sich im „Gespenst der Freiheit“ auch viele von Buñuels persönlichen Obsessionen wider: die Liebe zu Spinnen, der Haß auf Ärzte, die fetischistische Erotik. Und wo sonst kann man schließlich kettenrauchende Mönche antreffen, die in trauter Pokerrunde ihre Devotionalien zum Einsatz machen: „Ich eröffne mit einer Madonna.“
Bevor das Zeughaus Ende des Jahres wegen Renovierung für einige Zeit die Pforten schließt, zeigt das Kino noch einmal einige der größten Publikumserfolge der letzten Jahre. Dazu zählt auch Charles Chaplins „The Great Dictator“, der wie kein anderer Film des großen Komikers seine Stärken ebenso wie die Grenzen seines Talents aufzeigt.
In der Rolle als Diktator Hynkel von Tomanien ist Chaplin nahezu genial: Perfekt sind theatralische Motorik und Intonation dem „Vorbild“ Adolf Hitler nachempfunden und durch die Verwendung einer germanisch klingenden Phantasiesprache der Lächerlichkeit preisgegeben. Sein Bewegungstalent war stets Chaplins große Stärke: Hynkels Tanz mit der Weltkugel bleibt unvergeßlich.
Dagegen wirken die Szenen im Ghetto, in denen Chaplin als jüdischer Friseur (und unwissentlicher Doppelgänger des Diktators) auftritt, merkwürdig uneinheitlich: eine krude Mischung aus Brutalitäten, Slapstick und Sentimentalitäten.
Lars Penning
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